DER VATER DER BILDER

Einer der Väter der Photogrammetrie war ein Österreicher:
Ein Portrait von Eduard DOLEZAL
(1996)

Daß eine Gasse in Wien-Floridsdorf nach ihm benannt ist, hat ihn nicht "populär" gemacht. Die Wissenschaft des Eduard Dolezal zählt freilich zu denen, deren Früchte auch Otto N. regelmäßig konsumiert: kartographische Produkte wie Landkarten und Pläne. Praktische Geometrie und Vermessung gehören seit jeher zu den uneitlen, bescheidenen Disziplinen. Zumindest, was ihren Public-Relations-Stellenwert anlangt . . .

Die Photogrammetrie, der Zweig, um den sich Eduard Dolezal verdient gemacht hat, blüht bis heute gemeinsam mit Schwester Geodäsie (Erdvermessung) an verborgener Stelle. Wenn bei den Millenniumsfeierlichkeiten die Namen großer Österreicher fallen, wird Dolezal wahrscheinlich nicht darunter sein. Aber vergessen ist sein Werk nicht: Anläßlich eines Kongresses, der heuer im Juli in Wien stattfindet, werden Dolezal-Preise an "Personen aus Entwicklungs- und Reformländern, die erfolgreich zu Anwendungen in Photogrammetrie, Fernerkundung oder geographischen Informationssystemen beigetragen haben" zuerkannt werden. Dolezal hätte es gefreut: Daß der nach ihm benannte Preis Kandidaten aus "Nicht-Kulturländern", um in der Diktion der Jahrhundertwende zu bleiben, zugute kommt, wäre im Sinn des stets sozial engagierten Forschers gewesen.

Dolezals Karriere ist ein Beispiel für einen Aufstieg von ganz "unten", wie er in Kakanien möglich und häufig war. Sein Vater war Weber, die Familie lebte in bescheidenen Verhältnissen in Mährisch-Budwitz bei Znaim. Die wirtschaftlichen Umstände erzwangen einen Umzug nach Wien - was dem begabten Kind den Besuch der Realschule ermöglichte. In Widerlegung des Vorurteils, daß mathematische Begabung stets mit musischer Ignoranz Hand in Hand ginge, leitete Dolezal das Schulorchester. Sein wacher Geist war vielseitig interessiert. Das Auftauchen der wissenschaftlichen terra incognita, die es zu erobern galt, war für ihn nur eine Frage der Zeit: Das Dornröschen, das das Lebensschicksal dem Junggesellen zum Wachküssen vorgesehen hatte, hieß eben Photogrammetrie.

Diese Meßtechnik hat, wie die erste phonetische Assoziation richtig vermuten läßt, etwas mit der in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts erfundenen Photographie zu tun: Photogrammetrie leitet ja grundsätzlich aus Photos geometrische und andere Daten ab. In Österreich entwickelte sich die neue Bildmessung früh: 1886 werden an der Marineschule Pola erste photogrammetrische Arbeiten veröffentlicht. Schon 1889 wird das Verfahren praktisch eingesetzt: für ein Lawinenverbauungsprojekt am Arlberg, für forsttechnische Versuchsaufnahmen im Zillertal. 1894 hält Dolezal im militärwissenschaftlichen Kasino- und Beamtenverein Sarajevo einen Vortrag: Aus dem Manuskript entwickelt er sein erstes Photogrammetrie-Lehrbuch, in dem er zukünftige Einsatzmöglichkeiten der jungen Wissenschaft voraussagt. Jahre später, bei seiner Antrittsrede als Rektor der k. k. Technischen Hochschule Wien im Jahre 1908, formuliert Dolezal konkret die Zukunft der Photogrammetrie: für topographische Geländeaufnahmen im Hochgebirge, Plangrundlagen der Wildbach- und Lawinenverbauung, zur Erhaltung von Baudenkmälern, in Archäologie, Astronomie etc. - genau so wird die Methode wenige Jahrzehnte später weltweit eingesetzt.

Aus Sarajewo kehrt Dolezal vorerst als Konstrukteur an die Hochschule zurück. 1896 hält er die erste Vorlesung "Photogrammetrie im Dienste der Terrain- und Architekturaufnahme". Nach einem Intermezzo an der Bergakademie in Leoben, ist die Krönung seiner Karriere 1905 die Nachfolge Professor Schells auf der Lehrkanzel, der einst der berühmte Geodät Stampfer vorstand.

Photo als ideale Landkarte

Nun hat Dolezal offiziell die Stellung inne, die es ihm ermöglicht, sein wissenschaftliches "Kind" auf den verschiedenen gesellschaftlichen Parketten einzuführen: Dolezal lehrt, publiziert, konstruiert. Es entstehen: eine für photogrammetrische Aufnahmen adaptierte Kamera, ein Phototheodolit mit horizontaler Bildplatte, ein Entfernungsmesser - in Zusammenarbeit mit dem österreichischen Photogrammeter Scheimpflug.

Jener Scheimpflug, Hauptmann des Militärgeographischen Instituts, hatte übrigens erstmals die Idee, die Photographie als ideales Bild der Erdoberfläche direkt als Karte zu verwenden. Ein heute jedem Flugpassagier einleuchtender Gedanke, sieht die Landschaft von oben betrachtet doch wie eine große, ausgerollte Landkarte aus. Doch noch hatte die Stunde der Luftbild-Photogrammetrie nicht geschlagen. 1906 beschränkte sich die Zusammenarbeit Dolezal-Scheimpflug auf "erdgebundene" Instrumentenkonstruktionen. 1908 stellt ein anderer österreichischer Photogrammetrie-Pionier, Eduard Orel, mit dem durch die Firma Rost gefertigten Autostereographen erstmals auf optisch-mechanischem Weg den Zusammenhang zwischen zwei photographischen Aufnahmen und den Geländepunkten her. Wien war damals ein Zentrum der Photogrammetrie - und Dolezal eine Zentralfigur: Er gründete die Gesellschaft für Photogrammetrie; sein vielseitiges Engagement brachte ihm vier Ehrendoktorate.

Der Mensch hinter dem Wissenschaftler blieb stets bescheiden und am Boden der Realität - im wahrsten Sinne der Wortes: Es gab ja noch keine Flugzeugaufnahmen, die man hätte auswerten können. Dolezal rechnete zwar mit der Zukunftsmöglichkeit der Aerophotogrammetrie, warnte aber gleichzeitig vor Hybris: "Heute dürfte sich die Erkenntnis durchgesetzt haben, daß die Photographie, indem sie ohne Zeitaufwand, ohne besondere Mühe mathematisch genaue Perspektiven irgend eines Objektes liefert, für Vermessungszwecke aller Art ein sehr nützliches Hilfsmittel bietet und daß sie die Durchführung vieler Aufgaben gestattet, die früher schlechthin unlösbar waren. Wenn die Fortschritte der Photogrammetrie bis jetzt den aufrichtigen Freund der Sache nicht ganz befriedigen konnten, so liegt der Grund darin, daß die Anwendung des neuen Verfahrens nicht immer sach- und sinngemäß erfolgte."

Allgemeingültige Worte des Protagonisten einer bis heute "diskreten" Wissenschaft, die durch die Möglichkeiten der Elektronik und Informationsverarbeitung noch an Bedeutung gewonnen hat. Heute wird auf der ganzen Welt photogrammetrisch gemessen - das geistige Fundament dieser Wissenschaft liegt (wie bei der gleichaltrigen Psychoanalyse) im Jahrhundertwende-Wien.

"Dolezalfjellet" in Grönland

Dolezal verbrachte seine letzten Jahre in Baden bei Wien. Im Mai 1955 machte ihm der Besuch eines ehemaligen Hörers der Wiener Technischen Hochschule die letzte Freude seines Lebens: Bundeskanzler Raab berichtete seinem betagten Lehrer von den Erfolgen seiner Moskauer Reise. So sehr den Patrioten Dolezal die Aussicht auf ein befreites Österreich freute - er war dank seiner grenzüberschreitenden Wissenschaft vor allem Weltbürger. Für einen solchen mag die posthume Ehrung gedacht gewesen sein, die seinen Namen just auf einer Ostgrönlandkarte aus luftphotogrammetrischen Aufnahmen verewigt hat: Eine Berggruppe auf den "Geographischen Gesellschaftsinseln" heißt "Dolezalfjellet".