KAISERLICHER BAUMEISTER

Über Andreas Kreuls Biographie von
Johann Bernhard Fischer von Erlach

Er habe "wenig seines gleichen in diesen Landen und doch im Kopffe sichtbar einen Sparren zu viel", sagte Fürst Schwarzenberg 1719 über Johann Bernhard Fischer von Erlach, den großen Fantasten der Architektur, Österreichs wohl bedeutendsten Barockbaumeister.

Ihm widmet Andreas Kreul, Kunsthistoriker an der Kunsthalle Bremen, zum 350. Geburtstag eine anspruchsvolle Monografie, die auch unorthodoxe Annäherungen wagt. "Wer Bauwerke wie die des Barockzeitalters in Österreich betrachtet und deren Qualität allein in der brillanten Analyse ihrer italienischen oder französischen oder gar lokalen ,Vorbilder' zu entdecken vermag, der kann das Buch jetzt schon getrost zur Seite legen", schreibt Kreul. Gleiches gilt für alle, die ein leicht zu lesendes Bilderbuch erwarten.

Was doch nicht von Fischer ist

Kreul zeigt den Wandel der Auffassungen seit der ersten Monografie (1895), nennt auch wissenschaftliche Irrtümer. So sind nach heutigem Stand nicht von Fischer: die Portale der Maria Plainer Wallfahrtskirche in Salzburg, die Stuckdekorationen der Sakristei von Stift Rein, Entwürfe für den Garten von Schloss Mirabell, die Sommerreitschule (Felsenreitschule) und die Pferdeschwemme mit Rossebändiger, Schloss Thürnthal bei Fels am Wagram. Auch nicht prominente Wiener Gebäude wie der Reichskanzleitrakt und der Michaelertrakt der Hofburg.

Freilich: Es bleibt genug. Wenn wir heute, nach gut drei Jahrhunderten, vor der Karlskirche, vor dem Finanzministerium, Schloss Schönbrunn oder der Dreifaltigkeitssäule am Graben staunen, haben wir erst einen kleinen Ausschnitt seines Wiener Werks gesehen.

Antike Idee des Triumphbogens

Johann Bernhard Fischer von Erlach, 1656 in Graz geboren, brach 1670 auf - nach Rom, wo er im Umkreis Berninis Kunst aufsaugte, nach Neapel. 1687 kehrte er, voller Eindrücke italienischer Baukunst, nach Graz zurück. Dann ging er nach Wien, wurde Hofingenieur, seine Auftraggeber waren Prinz Eugen, Fürst Liechtenstein, Graf Althan. 1690 errichtete er zum Einzug von Joseph I. zwei "Triumphpforten", die bereits seine geniale Handschrift trugen. Im Auftrag der "Fremden Niederleger" (= Kaufleute) verband er auf der Wollzeile zwei kolossale Spiralsäulen mit der aus der Antike entlehnten Idee des Triumphbogens. Eine kühne Konstruktion. Die Pforten waren freilich aus "vergänglichem" Material gebaut, nur Zeichnungen lassen ihre Pracht noch heute erahnen. Sie finden sich - wie auch Entwürfe für Vasen und Altäre - als wichtige "et cetera" in Kreuls neuem Standardwerk.

Interessant ist die geografische Verbreitung: Die Landkarte zeigt eine hohe Kunstwerkdichte in Österreich, vereinzelte Werke bzw. Entwürfe finden sich im heutigen Tschechien, im heutigen Polen (Breslau) und in Berlin, wo der Künstler ein Lustschloss für König Friedrich I. von Preußen entwarf.

Lust ist ein Schlüsselwort für Fischers Künstlerpersönlichkeit: Er komponierte Gebäude genauso sinnlich wie Gärten. In der "Propyläen Kunstgeschichte" (1970) wird vom Versuch gesprochen, "den Kontrast zwischen Macht und Ordnung, Lebenskraft und Vernunft, Schönheit und Notwendigkeit, Pathos und Ethos in einer Synthese aufzuheben".

Als einen Fantasie-Künstler, der, dem europäischen Seicento entwachsen, noch das Menschenbild des Renaissance pflegte, als Gipfelstürmer und Grenzensprenger mit universalem künstlerischen Bewusstsein sah die Kunstgeschichte Fischer immer schon. Er entwickelte aus dem austro-italienischen das österreichische Barock - jene "symbolische, politische Form des Schloss- und Palastbaues, die unter dem Namen Kaiserstil begriffen wird" (Propyläen).

Kreul geht in seinem großen Fischer-Essay "Regie der Relation" noch weiter, viel weiter - die ganze kunsthistorische Wegstrecke bis heute. Er knüpft Verbindungslinien zu Zeitgenossen Fischers wie zu heutigen. Er zitiert Goethe (der in Breslau stundenlang vor Fischers Altar der Kurfürstenkapelle mit den Bildsäulen gestanden sein soll) und Brecht: "Er dachte in anderen Köpfen, und auch in seinem Kopf dachten andere. Das ist das richtige Denken."

Die Entdeckung der Ellipse

Fischer war für die Architektur ein ähnlicher Revolutionär wie Kepler für die Astronomie. Sah man kreis- bzw. halbkreisförmige Kuppeln seit jeher als gottgegeben-harmonische Entsprechungen zum Himmel, als Abbilder kosmischer Zusammenhänge, so baute Fischer gerne auf dem Prinzip der elliptoiden Ekliptik, konstruierte elliptische Kapellen und Kuppeln. Für den Wandel des Geschmacks, der bisher als hässlich Geltendes plötzlich als schön erkennt, zieht Kreul auch Theorien von Gottfried Wilhelm Leibniz heran: Was Augustinus noch als die "unschönen Falten der sündigen Seele" ansah, hob Leibniz in den Rang eines neuen Erkenntnismodells. Fischer von Erlach, der moderne Gegenspieler Domenico Martinellis, steht so auf einmal im Kontext von Adolf Loos, Giotto di Bondones, aber auch Barnett Newmans.

Andreas Kreul: "Johann Fischer von Erlach - Regie der Relation" (Anton Pustet Verlag)