Max Reinhardt, dem geistigen Vater der Salzburger Festspiele, hätte die
Szene vermutlich gefallen: Fernab einer glanzvollen Inszenierung,
unbeobachtet von medialen Seitenblicken, nur im Frontalblickwinkel
eingeweihter Theaterhabitues und touristischer Passanten, erinnerten
sich auf der Seepromenade in Strobl am Wolfgangsee zwei der berühmtesten
österreichischen Schauspieler einer Bühnenlegende. Enthüllt wurde ein
Denkmal für Helene Thimig, die zweite Ehefrau Max Reinhardts, die dessen
Jedermann-Inszenierung nach dem zweiten Weltkrieg in den Spielplan der
Festspiele zurückholte und als Regisseurin für den Dauererfolg - und
damit das Wahrzeichen des Festivals - mitverantwortlich war.
Heltau und Schenk im Regen
Thimig zu Ehren erzählten Michael Heltau und Otto Schenk, beide von
grünen Lodenpelerinen unzureichend gegen den Schnürlregen geschützt, aus
dem Stegreif, jeder in der ihm eigenen, unnachahmlichen Sprache
berührend von ihrer Lehrerin am Reinhardt-Seminar, ihrer Kollegin und
mütterlichen Freundin.
Unweit der von Heltau, Schenk und
Thimigs einstigem Kodirektor im Reinhardt-Seminar, Heinrich Kraus,
initiierten und finanzierten Thimig-Büste steht jene Bank, von der aus
die Künstlerin, die in Strobl eine Villa besaß, gern den Blick auf den
Wolfgangsee genoss. Sie sei mehr als eine Person, "ein Blumenstrauß von
Charakteren gewesen", schwärmte Schenk. Heltau hob den Realitätssinn der
großen Schauspielerin hervor. Hätte man ihr von einem künftigen
Thimig-Denkmal am Seeufer gesprochen, wäre ihre schlichte Antwort wohl
ein Verweis zurück auf den Boden der Wirklichkeit gewesen. Die Thimig
hätte nicht gerne, und wenn, dann ohne Ressentiments, in die
Vergangenheit geblickt, so Zeitzeuge Schenk.
Dem Kapitel der
Enteignung Max Reinhardts und Thimigs durch die Nationalsozialisten, das
Schenk in seiner Rede streifte, widmet ein eben in Salzburg
präsentiertes Buch breiten Raum. Genießen Heltau und Schenk noch das
Privileg, aus eigener Erinnerung über Helene Thimig extemporieren zu
können, so hat der 1978 geborene Historiker Johannes Hofinger eine
wissenschaftliche Aufarbeitung der Akte Leopoldskron, des dem Ehepaar
Reinhardt-Thimig gehörenden Schlosses, als spannend zu lesende
Dokumentation vorgelegt. Möglich wurde die Analyse dieses prominenten
Arisierungsfalles einerseits durch die Zugänglichkeit von Akten im
Rahmen der Tätigkeit der Österreichischen Historikerkommission,
andererseits durch den Ankauf eines Teil-Nachlasses Max Reinhardts durch
die Wiener Stadt- und Landesbibliothek, 1998.
Für Reinhardt,
der Salzburg 1920 mit seiner Jedermann-Inszenierung aus dem kulturellen
Dornröschenschlaf geweckt hatte, war das spätbarocke Schloss mit
zugehörigem Weiher, Meierei und Liegenschaftsbesitz, Spielstätte seiner
Theaterlust, die nie zwischen beruflicher und privater Szenerie
unterschied. Reinhardt verlegte seinen Lebens- und Arbeitsmittelpunkt
aber bewusst aus dem sich radikalisierenden Berlin in das ihn
künstlerisch inspirierende Salzburg.
Max Reinhardt in Leopoldskron
Der Zeitpunkt der Immobilien-Investition war für den Käufer aufgrund
der enormen Inflation nach dem Ersten Weltkrieg günstig, Reinhardt
wusste diese wirtschaftliche Extremsituation zu nutzen, so Buchautor
Hofinger, der einräumt: "Ob Max Reinhardt jedoch seine Besitzungen
tatsächlich nur zum Teil bezahlte und - wie mancherorts behauptet wird -
den Rest der Kaufsumme schuldig blieb, kann aus heutiger Sicht nicht
mit Bestimmtheit gesagt werden."
Reinhardt, den Hugo von
Hofmannsthal als "den besten Wohner" seiner Bekanntschaft rühmte, legte
großen Wert auf standesgemäße Unterkünfte, in Berlin hatte er mit seiner
ersten Frau, der Schauspielerin Else Heims, in einem Trakt des
Schlosses Bellevue gewohnt, in Wien war es ihm gelungen, Wohnräume in
der Hofburg zu bekommen. "Wohnungen sind schon in meiner
Schauspieler-Zeit einer meiner wesentlichsten Lebensinhalte gewesen",
gestand der "Theatrarch", wie ihn Egon Friedell einmal nannte. Von 1920
bis 1937 waren Schloss und Park Spielstätte für glanzvolle Reinhardtsche
Empfänge.
Loek Huisman - ihn und Michael Heltau bezeichnete
Helene Thimig in ihren Memoiren als "zwei der besten, ja genialsten
Verarbeiter Reinhardtscher Lehren" - weiß aus Thimigs Erzählungen, dass
Reinhardt, der persönlich scheu war, bei Empfängen der Gäste oft nur auf
dem Balkon des Saales beobachtend anwesend war und die
Begrüßungszeremonie der Ehefrau überließ.
Der Feste-Regisseur
Reinhardt hatte beileibe nicht nur Freunde. Karl Kraus kritisierte
Reinhardt für seinen konservativ-barocken Theaterstil und sein
Vertrauter Hofmannsthal schrieb 1922 an Richard Strauss über Reinhardts
Chancen, zum Festspielpräsidenten gewählt zu werden: "Reinhardt zum
Präsidenten nehmen diese Spießbürger nie: Sie hassen ihn, hassen ihn
drei- und vierfach, als Juden, als Schlossherrn, als Künstler, und
einsamen, scheuen Menschen, den sie nicht begreifen."
Fest
steht, dass der sinnlich-luxuriöse Lebensstil Reinhardts gerade in
Zeiten extremer Wohnungsnot, wo in Salzburg in Privathäusern
rückkehrende Soldaten und Unterstandslose zwangseinquartiert wurden, bei
Neidern böses Blut machte und antisemitische Ressentiments schürte.
Fest steht auch, dass Schloss Leopoldskron hypothekarisch belastet war -
Reinhardt schuldete nicht nur Helene Thimig, sondern auch dem deutschen
und österreichischen Fiskus Geld. Hofingers Buch widmet ein eigenes
Kapitel dem "Schlossherrn und dem Geld".
Reinhardt, dessen
"Jedermann"-Produktion von den Nationalsozialisten als "jüdisches
Theaterstück mit katholisch-konservativer Ideologie" verachtet wurde,
verließ Leopoldskron 1937 auf Nimmerwiedersehen, die Gestapo hat mit
Beschlagnahme- und Einziehungsvefügung vom 16. April 1938 den Salzburger
Besitz Reinhardts "zu Gunsten des Landes Österreich eingezogen"
(zitiert nach Hofinger).
Restitution nach dem Krieg
Als Glück im Unglück kann angesehen werden, dass die NS-Elite das
Gesamtkunstwerk Leopoldskron unverändert für ihre Repräsentationszwecke
übernahm. Nach dem Krieg wurde Leopoldskron an die Erben des 1943 in New
York verstorbenen Max Reinhardt, Helene Thimig und dessen Söhne aus
erster Ehe, die alle drei US-Staatsbürger geworden waren, restituiert.
Buchautor Hofinger: "Vor allem die alliierten Mächte Großbritannien und
die USA drängten auf eine rasche Lösung der Rückstellungsangelegenheit.
Trotz der Dauer des Verfahrens, die unter anderem ein Resultat der
mehrmaligen Einsprüche der Finanzprokuratur war, kann für den Fall
Leopoldskron eine neutrale, wenn nicht gar rückstellungsfreundliche
Haltung der Finanzlandesdirektion Salzburg festgestellt werden."
1951 wurde das Eigentumsrecht je zur Hälfte für Helene Thimig und für
die Reinhardtsöhne Gottfried und Wolfgang grundbücherlich eingetragen.
Die Folge davon war nicht die erhoffte Befriedung und Ruhe, sondern "ein
unerbittlicher Kampf der Söhne gegen mich", gestand Helene Thimig 1972,
zwei Jahre vor ihrem Tod.
Johannes Hofinger: "Die Akte Leopoldskron, Max Reinhardt, das Schloss, Arisierung & Restitution" (Verlag Anton Pustet).