SCHNITZLERS ENKEL KÄMPFT
FÜR DEN REGENWALD

Michael Schnitzler, Geiger und Enkelsohn des Dichters Arthur Schnitzler, erzählt über seine wahre Berufung

(1996)

Arthur Schnitzler war Arzt und Dichter. Sein Enkel Michael ist Geiger und Regenwaldretter. Die Neugier und die Lust an der Veränderung scheinen im Erbgut verankert. Michael Schnitzler: "Ich habe 30 Jahre alles getan, was ein Geiger tun kann. Irgendwann droht die Erstarrung." Bis heute hat der ehemalige Konzertmeister der Wiener Symphoniker und Primarius des Schnitzler-Quartetts eine Geigenklasse mit elf Schülern an der Musikhochschule. Auch sein Haydn-Trio besteht nach wie vor. Aber die Sehnsucht nach etwas ganz anderem schwelte schon länger - seit auf dem musikalischen Sektor keine wirklichen Herausforderungen mehr lockten. "Es gibt zwei Dinge, die ich nie gemacht habe. Beide reizen mich nicht. Ich habe nie eine Solistenlaufbahn angestrebt und wollte nie dirigieren. Mir genügt es zu wissen, daß ich das könnte." Plötzlich war da etwas, was eine ganz andere Qualität innerer Genugtuung vermittelte: In seinem "Zweitberuf" als Regenwaldretter in Costa Rica hält sich Schnitzler für "unersetzbar". Durch die von ihm ins Leben gerufene Spendenaktion "Regenwald der Österreicher" wird Quadratkilometer für Quadratkilometer eines als Nationalpark gewidmeten Territoriums freigekauft und vor der Rodung und endgültigen Zerstörung bewahrt. Schnitzler: "Für die dortigen Bauern ist das, was ich mache, absolut unverständlich. Für sie ist der Wald zum Ausbeuten da. Plötzlich kommen Fremde, die unglaublich viel Geld für die Erhaltung des Waldes bezahlen. Das sät Mißtrauen." Gewöhnlich manifestiert sich die Kluft zwischen erster und dritter Welt in Unverständnis: "Wenn eine Mango bei uns einen Schilling kostet und bei euch 40, warum pflanzt ihr dann keine Mangos bei euch an?" fragt man den Professor. Und wie reagiert das Wiener Musikleben auf den "einsamen Weg" des Kollegen? "Sie sagen es mir nicht ins Gesicht." Manche, etwa Claudio Abbado, beteiligen sich am Projekt und kaufen Regenwald. Andere machen einen Lokalaugenschein, zum Beispiel die Kollegen vom Haydn-Trio.

Die Prioritäten in Schnitzlers Leben sind jetzt anders gesetzt. Die naive touristische Begeisterung ob der wunderbaren Fauna und Flora im tropischen Regenwald ist dem Dauerpendler verlorengegangen. Daß nachts die Tukane durch die Fensterhöhlungen kommen und auch schon wiederholt Nasenbären in seinem bescheidenen Haus in Costa Rica zu Gast waren, verstärkt das Gefühl, in einer "anderen Welt" zu sein. "Wenn ich am ersten Tag nach meiner Rückkehr nach Wien in der Küche frühstücke und die Kaffeemaschine, den Mixer, den Mikrowellenherd sehe - dann denke ich, daß mir ,drüben' gar nichts abgeht. Aber ich ziehe nicht die radikale Konsequenz, daß ich jetzt nur noch barfuß ginge. Dazu bin ich zu bequem." So bleiben die beiden Welten des Michael Schnitzler nach außen hin säuberlich getrennt. Die Geige bleibt in Wien. Ein einziges Mal hat er sie mitgenommen. Nach zehn Tagen hat sie ihm die Übersiedlung ins tropische Paradies damit gedankt, daß sich ihr Hals abgelöst hat. "Sie geht mir dort nie ab", sagt Schnitzler. Wenn er zur Rettung des Regenwaldes aufgeigt, ist er sich der Risken bewußt: "Wer dort Geld hat, ist verdächtig. Er ist entweder Drogenhändler oder Drogenschmuggler." Wenn der Professor aus Wien mit einem Koffer Geld in die Bank kommt, machen sich die dort ihren Reim darauf. Aber dem Import steht auch ein Export gegenüber, wenn Schnitzler etwa für eine Regenwaldausstellung zehn Kilo Erde im Handgepäck nach Wien bringt. "Was ich tue, ist für einen Geiger wahrscheinlich ungewöhnlich." Dennoch sieht sich Schnitzler nicht als "Aussteiger". Solche gebe es dort an den tropischen Stränden in beachtlicher Zahl. "Die haben einen sehr niedrigen Lebensstandard und brauchen kaum Geld. Oft sind es ehemalige Hippies aus den USA, die als Blumenkinder hergekommen und dann geblieben sind." Zwischen deren Leben in Costa Rica und dem des Professors liegen noch einmal Welten. Dann wer von diesen Zivilisationsflüchtlingen ist trotz des Urwaldbodens unter den Füßen so im alten Europa verwurzelt, daß er sich noch an die Begegnungen mit Großmutter Olga Schnitzler erinnern kann? "Ich bin 1944 in Berkeley, Kalifornien, geboren. Den Großvater, Arthur Schnitzler, kannte ich nicht mehr. Aber an seine geschiedene Frau kann ich mich gut erinnern: Sie war in die USA emigriert und lebte auch noch dort, als ich ein Kind war. Ich wurde ihr zum Spielen gebracht. Es war tödlich langweilig für mich. Ich wartete nur darauf, abgeholt zu werden. Sie sprach immer nur über sich, darüber, wie toll und bedeutend sie sei. Sie lebte in der Vergangenheit und konnte auf Kinder überhaupt nicht eingehen." Die Großmutter habe Alma Mahler-Werfel gut gekannt und sich diese zum Vorbild genommen.