Die Oper, Spielstätte für Tragödien und Skandale. Nackte Beine, Affären,
selbst Sex gehört auf die Bühne. Doch wie verträgt sich das mit einem
Land, in dem Alkohol und nackte Haut tabu sind? Christina Scheppelmann,
Opernhaus-Chefin im Oman, muss immer wieder eine Antwort darauf finden.
Vor allem jetzt, da die Wiener Staatsoper das erste Mal dort gastieren
wird.
Frau Scheppelmann, Sie sind seit 2012 Intendantin des ersten Opernhauses
im Oman. Einem Golfstaat, der eigentlich keine Operntradition vorweisen
kann. Jetzt stehen wir in einem Palast, der sehr, sehr viel Geld
gekostet haben muss. Wer wollte dieses Projekt überhaupt?
Christina Scheppelmann: Der Sultan ist ein glühender Musik- und
Opernfan. Er hat den Bau 2001 durch ein königliches Dekret beschlossen.
Es gab einen Architekturwettbewerb, den ein internationales Büro
gewonnen hat. Dadurch ist ein acht Hektar großer Kulturdistrikt in einem
neuen Stadtteil entstanden. Eine Hälfte beherbergt einen
Landschaftsgarten, die andere ist in Marmor verbaut. Das Zentrum des
Gebäudekomlexes bildet ein holzvertäfelter, in Rot-Gold gehaltener
Konzertsaal für über tausend Zuhörer. Er lässt sich durch technische
Raffinessen in ein Opernhaus für circa 900 Besucher verwandeln. Die Oper
wurde 2011 mit Puccinis "Turandot" eröffnet. Dirigiert hat Placido
Domingo.
Die Oper heißt ROHM. Warum?
Man dachte
zuerst daran, den Komplex "House of musical Arts" zu nennen, doch in
Anlehnung an das Covent-Garden-Opernhaus in London heißt es jetzt "Royal
Opera House Muscat", kurz ROHM genannt. Die Anlage ist unglaublich
groß. Es gibt eine Opera Mall mit Museumsshop, Luxusläden und eine
Restaurantmeile mit Bar.
Im Oman ist die Staatsreligion der Islam, wie darf man sich da eine Bar vorstellen?
Alkohol ist natürlich tabu. Aber es gibt hier Wasserpfeifenbars. Und viele tolle antialkoholische Cocktails.
Als Intendantin müssen Sie entscheiden, was auf der Bühne gespielt
wird. Wie geht man im Oman mit nackter Haut um? Beispielsweise im
Ballett? Die Wiener Staatsoper wird hier nach ihrem Operngastspiel mit
Mozarts "Hochzeit des Figaro" auch mit drei Ballettabenden gastieren.
Nacktes Bein ist unerwünscht, so tragen die Balletteusen eben eine
weiße Strumpfhose unter dem Tutu und Spaghettiträger, damit das Trikot
oben nicht zu große Einblicke gewähren kann. Die Oper hat ein modernes
Untertitel-System, sodass man auf Englisch oder Arabisch mitlesen kann.
Wenn es in Mozarts Entführung aus dem Serail heißt: "Bacchus lebe!",
dann geht das gerade noch durch, wenngleich es hier nicht diese Freude
am Sich-Betrinken gibt, wie zuweilen in unserer Kultur. Sex auf der
Bühne ist tabu. "Lady Macbeth of Mzensk" können wir hier nicht spielen.
Wie wählt man das Programm im einzigen Opernhaus in den Golfstaaten?
Also, ganz allein sind wir nicht in der Region. Es gibt Opernhäuser
in Damaskus, in Beirut und in Kairo. Manche davon sind allerdings
zurzeit geschlossen. Es ist in manchen Städten im Moment sehr schwierig.
. .
Und wie wählen Sie die Stücke aus?
Sehr
vielseitig. Das oberste Prinzip lautet: höchste Qualität. Das hängt mit
der Demografie des Landes zusammen. Das Durchschnittsalter der Omanis
ist 19 Jahre. Dadurch haben wir sehr viel junges Publikum. Wenn wir die
enttäuschen, waren sie einmal da und kommen nie wieder.
Kann man sie denn für westliche, klassische Musik begeistern?
Sicher, aber wir mischen eben. Unsere Konzerte bieten Klassik, aber
auch westliche Cross-over-Musik, Jazz wie Wynton Marsalis, Weltmusik wie
Youssou N'Dour, arabische Musik wie Hiba Kawas, eine populäre
libanesische Sängerin. Wir spielen auch Indisches - bis hin zur
Tanzmusik.
Wenn man aus der Klassikszene kommt, sind solche Programme sicher Neuland.
Ich bin offen und hole mir von überall Anregungen, sogar aus den
Musikprogrammen im Flieger. Es arbeiten im Oman ja viele Expats, etwa
aus Indien. Manche davon sind richtige Jazzexperten. Ich halte es da mit
Leonard Bernstein: Es gibt nur zwei Arten von Musik, gute und
schlechte. Als Teenager habe ich auch alles Mögliche gehört.
Vieles, das hier gespielt wird, ist den Besuchern sicher unbekannt.
Wir können hier nicht auf musikalischem Grundwissen aufbauen, denn es
gibt in den Schulen kaum Musikunterricht in unserem Sinn. Aber es
spricht sich rasch herum, wenn etwas gut ist. So reisen unsere Gäste
auch aus Abu Dhabi und aus Dubai (Die Vereinigten Arabischen Emirate
grenzen an den Oman, Anm.) an. Sie fahren dafür stundenlang auf der
Autobahn, nur um eine Aufführung zu sehen.
Wie groß ist der Stab des ROHM?
50 Personen sind für die Bühne zuständig, weitere 30 bis 40 für die Verwaltung.
Wer spielt im Orchestergraben?
Achtzig Prozent der Konzerte spielt das Royal Oman
Symphony-Orchestra, das Sultan Qabus ibn Said vor mehr als einem
Vierteljahrhundert ins Leben gerufen hat. Die männlichen und weiblichen
Mitglieder dieses Jugendorchesters sind Einheimische. Sie besuchen ein
Internat mit angeschlossenem Probegebäude, es gibt einen arabischen
Generalmusikdirektor. Diese Art der Jugend- und Musikförderung ist ein
persönliches Anliegen des Sultans, der in England studiert hat und
selbst ausgebildeter Organist ist.
Wie kam es zum ersten Gastspiel der Wiener Staatsoper im Oman?
Die Wiener Staatsoper sollte in Moskau gastieren, aus finanziellen
Gründen wurde das abgesagt. Nun kommt man mit "Le Nozze di Figaro" in
der bewährten Inszenierung aus 1977 von Jean Pierre Ponnelle am 28., 29.
und 30. November zu uns in den Oman. Ich freue mich darüber sehr, denn
für mich hat die Kunstgattung Oper immer auch eine Brückenfunktion.
Eine Brücke verbindet. War die Übersiedlung in den Oman für Sie ein Kulturschock?
Ganz und gar nicht. Als ich aus europäischen Opernhäusern erstmals
nach Amerika kam und dort in Opernhäusern zu arbeiten begann, das war
für mich die wirkliche Umstellung. Placido Domingo holte mich Anfang der
1990er-Jahre aus San Francisco nach Washington. Ich genoss es, an
seiner Seite zu arbeiten. Er war ja meist unterwegs und ich war für
Budget und künstlerische Belange zuständig. Doch ein amerikanisches
Opernhaus zu führen, das hat mit derselben Aufgabe in Europa sehr wenig
zu tun.
Sie haben in Washington auch junge, amerikanische Komponisten gefördert.
Wenn Oper nicht "nachwächst", ist es irgendwann einmal aus mit dem
Genre. Deshalb habe ich Aufträge, zuerst für zwanzigminütige, dann für
einstündige neue Opern vergeben. Wichtig sind mir die Libretti, die
müssen zeitgenössische Sujets behandeln, keine Geistergeschichten aus
dem 19. Jahrhundert.
Wer hat das bezahlt?
Es gibt in
Amerika auch für solche Projekte Sponsorengelder, beispielsweise von
der Melton-Foundation. Privates Geld spielt eine große Rolle, denn der
finanzielle Druck ist viel höher als beispielsweise in Deutschland. Dort
wird Kultur ja immer noch subventioniert. In den USA besteht der Spagat
darin, ohne staatliche Subventionen mithilfe von Sponsorengeldern
auszukommen - aber ohne, dass man jeden Abend "La Traviata" oder "La
Boheme" spielt. Da lernt man dann auch die vielen "kleinen" Spenden
schätzen und erfährt, was Kundendienst wirklich heißt. In Amerika ein
Budget zu machen bedeutet: Circa vierzig Prozent kommen aus
Kartenverkäufen, noch einmal soviel von vier bis fünf Großsponsoren. Den
Rest bestreiten "kleine" Privatspenden.
Sehen Sie da eine Änderung auf Europa zukommen?
Ansätze für dieses System sind auch in Europa zu bemerken, doch damit
es funktioniert, müsste man die Steuergesetze in Europa ändern.
Und der Oman ist in dieser Hinsicht ein Paradies?
Sie meinen, dass man keine Krankenversicherung bezahlen muss, wenn
man hier arbeitet und wohnt? Stimmt, es gibt auch keine Einkommensteuern
auf unselbstständige Arbeit und die Arbeitslosigkeit ist
vergleichsweise sehr niedrig - auch, weil es viele Beamte gibt.
Sprechen Sie Arabisch?
Ich hatte zehn Unterrichtsstunden und kann die Schrift entziffern.
Sind Sie glücklich in Ihrem Gastland?
Ich erlebe den Oman als faszinierend und bereichernd. Ich bin sehr neugierig. Nur wer neugierig ist, kann Glück erleben.