ROMAIN ROLLAND

Französisch-deutsche Freundschaften und Entzweiungen

Ein Feuilleton, erschienen im Juni 2016 in der "Wiener Zeitung"

Im deutschsprachigen Raum ist sein Name vor allem Stefan-Zweig-Lesern ein Begriff: Der österreichische Dichter hat seinen französischen Kollegen - heute würde man salopp sagen - "gepusht", hat ihn in deutschen Landen "gemacht". Zweig sprach gerne vom "Atmosphärischen" in Romain Rollands Wesen, er verstieg sich gar zum euphorischen Begriff des "Rollandismus". Und das in einer Zeit, als zwischen dem französischen und dem deutschen Kulturraum ein tiefer Graben klaffte.

Fünfzehn Lebensjahre trennten Stefan Zweig von Romain Rolland. Ein Vater-Sohn-, ein Lehrer-Schüler-Verhältnis, könnte man von Seiten Zweigs erwarten. Doch es war mehr: Zweig adorierte Rolland. Er sah in ihm den großen humanistischen Vermittler zwischen den verfeindeten Fronten, den strahlenden Friedensapostel in Zeiten des Krieges. Zweig war begeistert, dass des Franzosen Heroen Beethoven, Wagner und Goethe hießen - und dass er deren Sprache so gut beherrschte. Es waren Rollands europäische Gedanken, die die beiden Schreibenden jahrzehntelang aneinander schmiedeten.

Michaela Schlögl lebt als freie Kulturjournalistin und Sachbuchautorin in Wien.



Doch aller Innigkeit zum Trotz - von Zweig sind 520 Briefe an Rolland, 277 von Rolland an Zweig bekannt - war es die Politik, die sich letztlich zwischen die beiden Schriftsteller drängte.

Politisches Engagement, De-Eskalations-Gedankengut und ein tiefer Glaube an ein friedliches Europa beherrschten das Œuvre Rollands. Dass er zugleich als Musikkritiker und Kunsthistoriker arbeitete, vervollständigt das Charakterbild dieses Rastlosen (der übrigens ein Schlafloser war: mehr als vier Stunden Nachtruhe kannte er nicht. Sein Geist blieb zwanzig Stunden lang tätig, auch wenn der Körper dann so erschöpft war, dass er sich nicht einmal mehr zu einem Spaziergang aufraffen konnte. . .).

Ein Humanist

Rollands biographische Daten markieren den Lebensweg eines in bürgerlichen Verhältnissen Herangewachsenen, der rasch zum geistigen Revolutionär mutierte: Rolland, geboren am 29. Jänner 1866 im burgundischen Clamecy, war der Sohn eines wohlbestallten Notars. Man ließ dem Kind eine humanistische Erziehung angedeihen. Vor allem der klassischen Musik war der Jugendliche verfallen. Dennoch errang er nach der École normale supérieure vorerst die Lehrbefugnis für das Fach Geschichte.

Schon früh sah Rolland den Kontinent Europa weniger als "Lebens-", denn als "Werte-Raum". Damit stellte er sich gegen den intellektuellen Mainstream seines Landes, denn Frankreich war nach der militärischen Niederlage von 1870/71 in seinem nationalen Selbstwertgefühl getroffen und erniedrigt. Man suchte nach neuen, identitätsstiftenden Idealen im Land: Der verlorene Krieg hatte auch die Gläubigkeit der Menschen zerstört, "die einen gingen zu Rudolf Steiner, die anderen zu Freud. . ." bemerkte Stefan Zweig. Manche fanden sich bei Rolland.

Der strebte zwar zeitlebens harmonische, versöhnliche Gedanken an - doch fand er sie nicht in der Realität. Eher schon in der Welt der Musik. Er komponierte selbst, veröffentlichte aber nie eine Note. An der Pariser Sorbonne hielt er Vorlesungen über Musikgeschichte und er dissertierte über die Ursprünge der Oper in Europa vor Lully und Scarlatti. Manch ein Zeitgenosse sah in ihm einen enzyklopädischen Menschen, "gefangen im gläsernen Sturz seiner Intellektualität" (Stefan Zweig).

Bedeutende Begegnung

In Rom lernte der schöngeistige junge Mann die Schriftstellerin Malwida von Meysenbug kennen - vom Alter her gesehen ein sehr ungleiches Verhältnis, doch die 50 Jahre ältere Frau akzeptierte den jungen Poeten sofort. Beide brachten dem sozialistischen Gedankengut Sympathie entgegen. Die emanzipatorisch denkende Salon-Dame, die einst mit Friedrich Nietzsche und Richard Wagner befreundet war, nahm Rolland sogar mit zu den Wagner-Festspielen nach Bayreuth!

Nach einer Beethoven-Biographie begann Rolland 1897 mit seinem zehnbändigen Roman "Jean-Christophe". Dessen Titelheld ist just ein deutscher Musiker, der sich in einer modernen Welt namens "Europa" zurechtfinden muss. Es war Rollands Roman-Bekenntnis zur europäischen Einheit, das eine Verständigung zwischen den Völkern germanischen und romanischen Geistes anstrebte: "Wir sind die beiden Flügel des Abendlandes", zog er einen Vergleich. Sei auch nur ein Flügel gebrochen, so gelänge kein Flug mehr.

Just für "Jean-Christophe" erhielt Rolland 1915, mitten im Ersten Weltkrieg, und als dritter Franzose, den Nobelpreis für Literatur. Das Preisgeld stiftete er sogleich dem Rotem Kreuz, für das er in Genf tätig war.

Doch das brachte ihm so wenig Freunde ein, wie die Tatsache, dass er, für das Militär untauglich, die Kriegsjahre in der friedlichen Schweiz verbrachte. Aber auch abseits der Schützengräben war Rolland tief erschüttert und verletzt vom barbarischen Kriegsgeschehen. Der Weltkrieg bedeutete für ihn den "Suizid Europas".

Er sah den Krieg als Konkurs der europäischen Zivilisation. Unermüdlich schrieb er gegen ideologische Verblendung und Verantwortungslosigkeit. Seine zahlreichen, appellierenden Schriften erschienen unter dem Titel "Au-dessus de la mêlée ("Jenseits des Schlachtengetümmels").