Der Tod, die Masken und die Seele

Das Werk Ensors, der als „Künstler der Masken“ bekannt wurde, hat eine bewegte Rezeptionsgeschichte, die nicht erst in Corona-Zeiten viele Assoziationen zuläßt.



Schon 1927 erkannte der damalige Direktor Gustav Friedrich Hartlaub des Kunstmuseums in Mannheim Ensors Bedeutung: Er kaufte das Bild „Der Tod und die Masken“ an und widmete schon 1928 dem eigenwilligen Künstler eine Einzelausstellung.


Vom NS-Regime beschlagnahmt


Just der „Tod und die Masken“ wurde 1937 von den NS-Kultur-„Hütern“ als entartete Kunst beschlagnahmt. Nach einer Versteigerung gelangte das Bild schließlich in ein belgisches Museum: Das Musée des Beaux Arts in Lüttich. Von dort wurde es jetzt wieder nach Mannheim verliehen!
In den 1950er Jahren hat die Kunsthalle Mannheim dann, quasi als Ersatz, das Ensor-Bild „Der tote Hahn“ angekauft.


Museumsbesuch via Youtube


Die Kuratorin Dr. Inge Herold beschreibt in einem Ausstellungs-Video (youtube) ihre Aufgeregtheit, als „Der Tod und die Masken“ in Mannheim wieder ankam: Die Farben seien frisch, als sei das schaurig-skurrile Werk eben erst getrocknet! Neben Ensor-Werken aus verschiedenen Museen gelang es Mannheim, jetzt auch Werke aus Privatsammlungen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen: Da gibt es neben dem Ensor-„Leitmotiv“, den verstörend-starren Gesichts-Masken und dem Tod, auch farben-jubelnde Stilleben, sowie an Kubin erinnernde, skurril-freche Annäherungen an Religion und Gott.

Und - hinter allem steht: viel Gesellschaftskritik. Diese war mit ein Grund, warum Zeitgenossen Ensors und damalige Kunstkritiker sein Werk als abstossend empfanden. Ensor selbst kritisierte zwar gerne und konnte beißend spottend malen. Doch er war überaus empfindlich gegen Kritik und haßte seine Kritiker. Das ging soweit, daß er seine Kunstwerke in einer Phase tiefer Frustration zu Schleuderpreis verkaufen wollte. Dazu kam es gottlob nicht, da sich kein Käufer fand! Doch Ensors Selbstinszenierungen als Opfer und Märtyrer waren vielfältig, obwohl er bald wichtige Sammler um sich scharte, Verkäufe tätigte. Und schließlich 1929 sogar einen
Adelstitel von König Albert I entgegennahm.


Ein Kleiner Laden in Ostende



Inspiriert und geprägt war der Künstler vom elterlichen Souvenir- und Kuriositätengeschäft in Ostende, dem Kurort mondäner Sommer. Im Winter jedoch war der einzige Höhepunkt der Karneval, der mit Verkleidungen und Masken begangen wurde.
Ensors Weltsicht, die ungeschminkte Konfrontation mit dem Tod, die Ironisierung des Sterbens und der verstellten menschlichen Existenz hinter mannigfaltigen Masken, interpretierten die Nachgeborenen als Ausdruck seiner persönlichen Verstörtheit.
Hundert verschiedene Masken hatte er tatsächlich aus Deutschland erworben und sie in sein Werk eingearbeitet.



Was sich dahinter verbarg?

In den 1960-er Jahren wurde Ensor psychoanalytisch gedeutet, man sprach immer wieder von Schizophrenie. Krankheitsanalysen übersahen wohl die humorvoll-witzig-zynische Seite des Künstlers, der zeitlebens mit Mutter, Tante und Schwester lebte und nie selbst heiratete. Seine Texte, er schrieb auch!, sind witzig-skurril. So wie es seine nächste Umgebung war:
Das obskure Familiengeschäft, in dem Muscheln, Porzellan und kunstvolle Andenken verkauft wurden, beherbergte neben präparierten Tieren auch einen lebenden Affen. Auch Ensor verkaufte dort Souvenirs…

Seine Mal-Themen waren weit über die wenigen Quadratmeter des Kuriositätenladens hinausgehend:
Ensor scheutet weder die Nähe zur Blasphemie (er stellte sich selbst am Kreuz dar, statt der Inschrift INRI steht „Ensor" auf der Tafel…), noch die Darstellung von ungeschminkter Lust - beispielsweise im Bild der „Austernesserin“, die vollkommen ungeniert an einem reich gedeckten Tisch völlert. Das Bild wurde vom Salon in Brüssel abgelehnt

Seiner Zeit voraus


Ensor war seiner Zeit voraus, ein Symbolist, der jedoch zeitgleich mit den französischen Impressionisten malte. Das verstörte die Zeitgenossen.

Übrigens: 1899 hat das Kupferstichkabinett in Wien eine vollständige Sammlung von Ensors Radierungen angekauft!




LINKS:


kuma.art.   zeigt: Ausstellungstrailer, Teaser (je eine halbe Minute lang!)
über Ensors Masken, Selbstbildnissen, Theater und Musik


Drei Soundclouds mit seinen Texten und seiner Musik „Strandgut“


Online-Dokumentation der Eröffnung


Interview mit Kuratouren und stellvertretender Direktorin