Picasso & les Femmes d´Alger

Der Kunsthändler Heinz Berggruen hat seine Sammlung 1996 zu einem Preis „weit unter Wert“, in einer „Geste der Versöhnung“, seiner Heimatstadt Berlin verkauft: Als Jude konnte Berggruen viele Jahre nicht in Deutschland leben, er schrieb, sammelte und handelte in den USA und in Frankreich. 1996 kehrte er als Mäzen und Kunstguru zurück: Neben Alberto Giacometti, Georges Braques, Paul Klee und anderen Stars der klassischen Moderne sind auch Henri Matisse - und vor allem Pablo Picasso - in seiner Sammlung vertreten.

Mit Picasso war Berggruen geschäftlich verbunden - und befreundet: Nun zeigt das Museum Berggruen die Initialzündung zu Picassos Spätwerk:
1954/55 malte er während der Wintermonate 15 zusammengehörige Ölgemälde und schuf über hundert Zeichnungen und Druckgraphiken zum Thema: Die Frauen von Algier. Eugène Delacroix hatte zu eben diesem Titel 1834/35 ein Bild vollendet - nachdem er live Zutritt zu einem Harem in Algier erhalten hatte und von den dort befindlichen Frauen, den Farben und der Atmosphäre - tief beeindruckt war. Delacroix hatte damit einen Beitrag zur Orientalismus-„Mode“ der europäische Malerei im 19. Jahrhundert geliefert.
(In der Ausstellung: Eines der beiden Originale von Delacroix, „Femmes d´Alger dans leur appartement“, als Leihgabe des Musée Fabre in Montpellier.)

Les Femmes d´ Algers markieren den Ausgangspunkt von Picassos Spätwerk. Die Kunstwerke lassen Picassos geniale „Demontage“ malerischer Konventionen lebendig werden: Les Femmes sind erwachsene Frauen, nicht mehr „Demoiselles“, wie in seiner Bildkomposition der Fräulein von Avignon, die er als junger Spanier in Paris 1907 erschaffen hatte, thematisiert. Mit den „Fräulein“ war er einst in die Phase des Kubismus eingetreten war.

Von der mit Buchstaben bezeichneten Serie der „Femmes“ hält die Nationalgalerie der Staatlichen Museen zu Berlin/Museum Berggruen ständig die Version“L“.
Nun sind in Berlin 8 Versionen (von insgesamt 15, die auf der ganzen Welt verstreuten sind), inklusive der beiden letzten Versionen N und O zu sehen, sowie dazugehörige Papierarbeiten aus privaten Sammlungen und internationalen Museen. Die Entwicklung der Bildinhalte stellt sich derart dar, daß der Betrachter oft das Gefühl hat, Picasso beim Arbeiten über die Schulter schauen könnte.

Die Kunstgeschichte spekulierte, welche äußeren Ereignisse Picasso zur Beschäftigung mit den „Femmes“ gebracht haben mögen:

Picasso hatte eine neue Gefährtin an seiner Seite, die 45 Jahre jüngere Jacqueline Roque. Doch es gab auch dunkle Anknüpfungspunkte:
Anläßlich des Todes seines Freund-Rivale Henri Matisse 1954, erklärte Picasso: "Als Matisse starb, hinterließ er mir seine Odalisken als Erbe“ (Beispiele der Odalisken von Matisse ebenfalls in Berlin zu sehen). War das „Femmes“-Oeuvre gar Teil seiner Trauer-„Arbeit“ für den verehrten Künstler-Kollegen?
Algerien war in diesen Monaten ein brisantes Thema, nicht nur für Franzosen: Am 1. November 1954 hatte der algerischer Unabhängigkeitskrieg begonnen.



Die Ausstellung in Berlin beinhaltet zusätzlich zur klassischen Moderne aus der Sammlung Berggruen Frauendarstellungen von zeitgenössischen algerischen Künstlerinnen und Künstlern: Ein Beitrag zur Sichtweise anno 2021, im Lichte von Postkolonialismus und Feminismus.