Auf den großformatigen Gemälden von Le Corbusier formieren sich
Alltagsgegenstände zu klobigen Stillleben. Seine Skulpturen wirken wie
in Massivbauweise konstruiert. Nur die Formensprache seiner Möbel bedarf
keiner Übersetzung: Puristische Sessel- und Tischmodelle erschließen
sich dem Betrachter sofort, sie sind orientiert an den Körpermaßen des
Durchschnittsmenschen. Tatsächlich dachte Le Corbusier zeitlebens über
ein "menschliches Maß" nach, während seine Kritiker ihm just
Maßlosigkeit vorwarfen und an der Bewohnbarkeit vieler seiner Gebäude
zweifelten. Das Maßnehmen am Menschen ist auch Motto der Pariser Schau
zum 50. Todestag.
Als Architekt hat Charles Edouard Jeanneret,
wie der 1887 in der Schweiz geborene Universalkünstler mit bürgerlichem
Namen hieß, ein ästhetisches Erdbeben ausgelöst - und mit 75 Bauten in
elf Ländern Spuren hinterlassen. Le Corbusier war kein Kleinmeister,
weder in der Theorie (er schrieb 34 Bücher) noch in der Praxis. In
seinen Villen beanspruchen Atrium und Flachdach-Terrassen viel Platz.
Durch Licht und Sonne sollte die Ertüchtigung der Bewohner gefördert
werden. Genormte Menschen, genormtes Wohnen in riesigen Wohnhausanlagen -
verordnetes Turnen: Selbst, wenn sich Le Corbusier in den 1940er-Jahren
nicht dem Vichy-Regime an die Seite gestellt hätte - Kritik an seinem
mit faschistoidem Gedankengut kokettierenden OEuvre wäre ihm nicht
erspart geblieben. Doch halt: Le Corbusier hat auch für Moskau geplant -
war sein Stil schlicht diktaturengemäß?
"Beton brutal"
Ein auf früher Nietzsche-Lektüre fußendes Elitedenken beherrschte
seine Theorien. Lustvoll ließ er sich vom Nihilismus anfeuern, um die
Moderne architektonisch umzusetzen. In einer Welt der Maschine, des
Autos und der Massenproduktion sollten auch Häuser "funktionieren": um
Menschen fit zu machen für die Arbeitswelt - aber auch als Rückzugsorte.
Genormter Komfort für alle - so könnte man seine städtebaulichen
Mega-Konstrukte beschreiben, seine Wohnstädte, die manche als "beton
brutal" tadelten.
In den verrückten Villenkonstruktionen Le
Corbusiers erfährt man seine Radikalität wohl am unmittelbarsten: In der
Villa Poissy nahe Paris dienen dominante Rampen als Verbindung zwischen
den Stockwerken. Wer über eine Rampe schreitet, gewinne ein besseres
Raumgefühl als der Stiegensteiger, meinte Le Corbusier - und baute
Treppen nur fürs Personal. Das Haus brachte ihm internationalen Ruhm
ein, während die Reklamationsbriefe der Eigentümerin unbeantwortet
blieben. Deren Inhalt war immer derselbe: "Es regnet durch alle
Flachdächer." Die Villa, die Anfang der 1930er-Jahre noch freie Sicht
auf das Seine-Tal bot, illustriert Le Corbusiers Postulate: Weiße Säulen
lassen das einem Schiff ähnliche Haus über der Autozufahrt schweben,
Fensterbänder holen Licht, auf dem Flachdach sitzen schornsteinartige
Aufbauten für Sonnenbäder.
Rampen dominieren auch die Maisons
La Roche-Jeanneret in Paris, in der die Le-Corbusier-Stiftung ihren Sitz
hat. Diese kleine Stadt-Doppelvilla bietet Le Corbusier pur auf
kleinstem Raum (seit Kurzem auch betrachtbar von einem neuen
Boutiquenhotel in der Parallelstraße). Innen zeugen
Industrie-Beleuchtungskörper, Glaselemente und eine exzentrische
Farbwahl davon, was Le Corbusier unter einer neuen Ethik und Ästhetik
des Bauens verstand. Dass er Atheist war, hinderte ihn nicht, 1950 die
Chapelle Notre Dame du Haut in Ronchamp zu errichten. Dass ihn 1958 die
"Feinschmecker der Salons" in Paris und in den Vereinigten Staaten als
"barocken Architekten" bezeichneten, erregte ihn: "Das ist die
allergrausamste Bezeichnung, die man mir nur geben kann. Als dreckiger
Ingenieur habe ich 1920 angefangen. Jetzt bin ich offenbar am
entgegengesetzten Rand der Hölle angekommen - es leben die Extreme!"
Er lebte sie: Den gigantischen Bauten, die er für andere plante,
stand sein persönlicher Minimalismus gegenüber. 1952 baute er an der
Cote d'Azur eine 15 Quadratmeter große Holzhütte - ohne Küche, sein
Stammrestaurant lag um die Ecke. In dieser "Cabanon" verbrachte er die
Sommer bis zum 27. August 1965. An diesem Tag kehrte er vom Schwimmen
nicht zurück. Seine Leiche wurde angeschwemmt. Kulturminister Andre
Malraux ließ ihn ehrenvollst am 1. September 1965 im Cour Carree im
Louvre verabschieden.