Daß eine Gasse in Wien-Floridsdorf nach ihm benannt ist, hat ihn nicht
"populär" gemacht. Die Wissenschaft des Eduard Dolezal zählt freilich zu
denen, deren Früchte auch Otto N. regelmäßig konsumiert:
kartographische Produkte wie Landkarten und Pläne. Praktische Geometrie
und Vermessung gehören seit jeher zu den uneitlen, bescheidenen
Disziplinen. Zumindest, was ihren Public-Relations-Stellenwert anlangt .
. .
Die Photogrammetrie, der Zweig, um den sich Eduard
Dolezal verdient gemacht hat, blüht bis heute gemeinsam mit Schwester
Geodäsie (Erdvermessung) an verborgener Stelle. Wenn bei den
Millenniumsfeierlichkeiten die Namen großer Österreicher fallen, wird
Dolezal wahrscheinlich nicht darunter sein. Aber vergessen ist sein Werk
nicht: Anläßlich eines Kongresses, der heuer im Juli in Wien
stattfindet, werden Dolezal-Preise an "Personen aus Entwicklungs- und
Reformländern, die erfolgreich zu Anwendungen in Photogrammetrie,
Fernerkundung oder geographischen Informationssystemen beigetragen
haben" zuerkannt werden. Dolezal hätte es gefreut: Daß der nach ihm
benannte Preis Kandidaten aus "Nicht-Kulturländern", um in der Diktion
der Jahrhundertwende zu bleiben, zugute kommt, wäre im Sinn des stets
sozial engagierten Forschers gewesen.
Dolezals Karriere ist
ein Beispiel für einen Aufstieg von ganz "unten", wie er in Kakanien
möglich und häufig war. Sein Vater war Weber, die Familie lebte in
bescheidenen Verhältnissen in Mährisch-Budwitz bei Znaim. Die
wirtschaftlichen Umstände erzwangen einen Umzug nach Wien - was dem
begabten Kind den Besuch der Realschule ermöglichte. In Widerlegung des
Vorurteils, daß mathematische Begabung stets mit musischer Ignoranz Hand
in Hand ginge, leitete Dolezal das Schulorchester. Sein wacher Geist
war vielseitig interessiert. Das Auftauchen der wissenschaftlichen terra
incognita, die es zu erobern galt, war für ihn nur eine Frage der Zeit:
Das Dornröschen, das das Lebensschicksal dem Junggesellen zum
Wachküssen vorgesehen hatte, hieß eben Photogrammetrie.
Diese
Meßtechnik hat, wie die erste phonetische Assoziation richtig vermuten
läßt, etwas mit der in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts
erfundenen Photographie zu tun: Photogrammetrie leitet ja grundsätzlich
aus Photos geometrische und andere Daten ab. In Österreich entwickelte
sich die neue Bildmessung früh: 1886 werden an der Marineschule Pola
erste photogrammetrische Arbeiten veröffentlicht. Schon 1889 wird das
Verfahren praktisch eingesetzt: für ein Lawinenverbauungsprojekt am
Arlberg, für forsttechnische Versuchsaufnahmen im Zillertal. 1894 hält
Dolezal im militärwissenschaftlichen Kasino- und Beamtenverein Sarajevo
einen Vortrag: Aus dem Manuskript entwickelt er sein erstes
Photogrammetrie-Lehrbuch, in dem er zukünftige Einsatzmöglichkeiten der
jungen Wissenschaft voraussagt. Jahre später, bei seiner Antrittsrede
als Rektor der k. k. Technischen Hochschule Wien im Jahre 1908,
formuliert Dolezal konkret die Zukunft der Photogrammetrie: für
topographische Geländeaufnahmen im Hochgebirge, Plangrundlagen der
Wildbach- und Lawinenverbauung, zur Erhaltung von Baudenkmälern, in
Archäologie, Astronomie etc. - genau so wird die Methode wenige
Jahrzehnte später weltweit eingesetzt.
Aus Sarajewo kehrt
Dolezal vorerst als Konstrukteur an die Hochschule zurück. 1896 hält er
die erste Vorlesung "Photogrammetrie im Dienste der Terrain- und
Architekturaufnahme". Nach einem Intermezzo an der Bergakademie in
Leoben, ist die Krönung seiner Karriere 1905 die Nachfolge Professor
Schells auf der Lehrkanzel, der einst der berühmte Geodät Stampfer
vorstand.
Photo als ideale Landkarte
Nun hat Dolezal
offiziell die Stellung inne, die es ihm ermöglicht, sein
wissenschaftliches "Kind" auf den verschiedenen gesellschaftlichen
Parketten einzuführen: Dolezal lehrt, publiziert, konstruiert. Es
entstehen: eine für photogrammetrische Aufnahmen adaptierte Kamera, ein
Phototheodolit mit horizontaler Bildplatte, ein Entfernungsmesser - in
Zusammenarbeit mit dem österreichischen Photogrammeter Scheimpflug.
Jener Scheimpflug, Hauptmann des Militärgeographischen Instituts,
hatte übrigens erstmals die Idee, die Photographie als ideales Bild der
Erdoberfläche direkt als Karte zu verwenden. Ein heute jedem
Flugpassagier einleuchtender Gedanke, sieht die Landschaft von oben
betrachtet doch wie eine große, ausgerollte Landkarte aus. Doch noch
hatte die Stunde der Luftbild-Photogrammetrie nicht geschlagen. 1906
beschränkte sich die Zusammenarbeit Dolezal-Scheimpflug auf
"erdgebundene" Instrumentenkonstruktionen. 1908 stellt ein anderer
österreichischer Photogrammetrie-Pionier, Eduard Orel, mit dem durch die
Firma Rost gefertigten Autostereographen erstmals auf
optisch-mechanischem Weg den Zusammenhang zwischen zwei photographischen
Aufnahmen und den Geländepunkten her. Wien war damals ein Zentrum der
Photogrammetrie - und Dolezal eine Zentralfigur: Er gründete die
Gesellschaft für Photogrammetrie; sein vielseitiges Engagement brachte
ihm vier Ehrendoktorate.
Der Mensch hinter dem
Wissenschaftler blieb stets bescheiden und am Boden der Realität - im
wahrsten Sinne der Wortes: Es gab ja noch keine Flugzeugaufnahmen, die
man hätte auswerten können. Dolezal rechnete zwar mit der
Zukunftsmöglichkeit der Aerophotogrammetrie, warnte aber gleichzeitig
vor Hybris: "Heute dürfte sich die Erkenntnis durchgesetzt haben, daß
die Photographie, indem sie ohne Zeitaufwand, ohne besondere Mühe
mathematisch genaue Perspektiven irgend eines Objektes liefert, für
Vermessungszwecke aller Art ein sehr nützliches Hilfsmittel bietet und
daß sie die Durchführung vieler Aufgaben gestattet, die früher
schlechthin unlösbar waren. Wenn die Fortschritte der Photogrammetrie
bis jetzt den aufrichtigen Freund der Sache nicht ganz befriedigen
konnten, so liegt der Grund darin, daß die Anwendung des neuen
Verfahrens nicht immer sach- und sinngemäß erfolgte."
Allgemeingültige Worte des Protagonisten einer bis heute "diskreten"
Wissenschaft, die durch die Möglichkeiten der Elektronik und
Informationsverarbeitung noch an Bedeutung gewonnen hat. Heute wird auf
der ganzen Welt photogrammetrisch gemessen - das geistige Fundament
dieser Wissenschaft liegt (wie bei der gleichaltrigen Psychoanalyse) im
Jahrhundertwende-Wien.
"Dolezalfjellet" in Grönland
Dolezal verbrachte seine letzten Jahre in Baden bei Wien. Im Mai 1955
machte ihm der Besuch eines ehemaligen Hörers der Wiener Technischen
Hochschule die letzte Freude seines Lebens: Bundeskanzler Raab
berichtete seinem betagten Lehrer von den Erfolgen seiner Moskauer
Reise. So sehr den Patrioten Dolezal die Aussicht auf ein befreites
Österreich freute - er war dank seiner grenzüberschreitenden
Wissenschaft vor allem Weltbürger. Für einen solchen mag die posthume
Ehrung gedacht gewesen sein, die seinen Namen just auf einer
Ostgrönlandkarte aus luftphotogrammetrischen Aufnahmen verewigt hat:
Eine Berggruppe auf den "Geographischen Gesellschaftsinseln" heißt
"Dolezalfjellet".