Alljährlich werden wir auf den Wellen der "Schönen, blauen Donau" per Äther
und Fernsehen "hinübergeschwemmt": Die ersten Sendeminuten des Neuen
Jahres gehörten traditionell dem Donauwalzer. Und der Donauwalzer gehört
der ganzen Welt, wenn die Wiener Philharmoniker am Neujahrstag für ein
Millionenpublikum aufgeigen. Dennoch kann ein handverlesenes Grüppchen
sonor(-seniorer) Herren die Entstehung des wohl berühmtestens Walzers
auf ihr Vereins-Konto buchen. Es ist ein reiner Herrenverein, nicht aus
Geschlechtsrassismus, sondern aus musikalischen Gründen. Frauen können
höchstens Ehrenmitglied werden, wie einst Pauline Metternich oder Adele
Strauß.
Man(n) singt vereint aus 90 Kehlen, ist knapp 150
Jahre als (Vereinsalter) und - nach wie vor dem vormärzlichen Wahlspruch
"Frei und treu in Lied und That" huldigend.
Jeden Dienstag zu
vorgerückter Abendstunde ist es im altehrwürdigen Dumbasaal des Wiener
Musikvereingebäudes soweit: der "Wiener Männergesang-Verein" probt und
mag damit dem ersten Zweck des 1843 gegründeten Vereins, der "Pflege und
Veredelung des Chorgesanges" gerecht werden. Das zweite Ziel, die
"Kunst der Humanität dienstbar zu machen" ist im Laufe von fast
eineinhalb Jahrhunderten in den Hintergrund getreten. Man hat
Nachwuchsprobleme, gibt man unumwunden zu. Neue Mitglieder wären gerne
gesehen.
In der Blütezeit der männlichen Gesangsvereinigung
(als man bis zu 250 Mitglieder zählte), brauchten Jungchoristen zwei
Paten, um aufgenommen zu werden. Heute sind Neueintretende oft auf der
Flucht vor dem Pensionsschock. Es gibt keine Altersgrenze nach oben hin.
Die Vereinsstruktur hat sich geändert. Waren früher junge, durchwegs
großbürgerliche Akademiker die Barden, so ist der ehrenamtliche
Laien-Chor heute "gemischt" - "vom Taxifahrer, über den
Universitätsdozenten bis zum Generaldirektor und Hofrat", erzählt der in
Musiksachen überaus kompetente Vorstands-Stellvertreter, Herr Schuh, im
Zivilberuf chemischer Laborant.
Zweifelsohne: tempora
mutantur, doch dafür tourt die auf Schubert und Strauß spezialisierte
Vereinigung endlich wieder. Nach längerer Pause. In der Presseaussendung
zur erfolgreichen Fernostreise des Wiener Männergesang-Vereins im
Herbst dieses Jahres (zehn Konzerte in Japan, Taipeh und Hongkong) liest
sich das so: "Bedingt durch die Folgen zweier Weltkriege und die
gewaltigen politischen und gesellschaftlichen Veränderungen unserer Zeit
ist es dem Wiener Männergesang-Verein nach längerer Zeit gelungen,
diese Konzertreise zu organisieren. Zu den bedeutendsten und
erfolgreichsten der bisher durchgeführten Auslandsreisen zählen: 1873
Venedig, 1905 Ägypten, 1909 Amerika..."
Gemäß dem Straußschen
Motto "Glücklich ist, wer vergißt" treten Zeit und Raum in den
Hintergrund, betritt man den Gral des Männergesang-Vereins. Kakanische
Trophäen und vor allem die Fahne, die der Kaiser dem Verein geschenkt
hat, werden im kleinen, sehenswerten Museum in den Vereinsräumlichkeiten
im Wiener Musikverein aufbewahrt. Man wäre kaum erstaunt, würde Kaiser
Franz Josef persönlich hinter einer der Vitrinen hervortreten, um "seine
lieben Hofsänger", wie er sie zu nennen pflegte, nochmals zu fragen,
was ihnen lieber sei: das Grundstück vis `a vis des Musikvereins, in dem
heute die Austrian Airlines untergebracht ist, oder die Fahne - für die
man sich damals entschied...
Beim Kaiserhaus stand der Verein
in besonderer Gunst. Schon 1844 sang man dem von Triest heimkehrenden
Kaiser Ferdinand in Schloß Schönbrunn ein Abendständchen, alle wichtigen
Denkmalenthüllungen in der franzisko-josephinischen Ära, sowie die
Weltausstellungs-Eröffnung 1873, wurden vom Männergesang-Verein
besungen. Staatsbesuchen, wie Napoleon III. und Kaiser Wilhelm II. bot
der Männergesang-Verein Ständchen dar. Zur Verlobung von Kronprinz
Rudolf und Prinzession Stephanie reiste der Verein gar nach Brüssel.
Damals, als das Durchschnittsalter der Mitglieder noch nicht
"zwischen 50 und 60" lag und man das Hauptgewicht der Vereinsaktivität
auf das Singen verlegen mußte (Staatskanzler Metternich beobachtete auch
rein singende Vereinigungen im Vereinsgründungsjahr 1843 mißtrauisch),
haben Künstler wie Johannes Brahms, Anton Bruckner, Franz Liszt, Richard
Strauss und Richard Wagner für den Verein komponiert. Und - Johann
Strauß!
Die Chorvereinigung stand der Strauß-Familie immer
nahe: Sie sangen beim Begräbnis von Vater Strauß, Sohn Johann widmete
ihnen den ersten Konzertwalzer "Sängerfahrten", und in der Folge u.a.
"Wein, Weib und Gesang". 1867 fällt ein Schlaglicht der
Musik-Weltgeschichte auf den Wiener Männergesang-Verein. Johann Strauß
hatte dem Verein für die den Narrenabend ersetzende Liedertafel 1867
(Tanzveranstaltungen waren im Hinblick auf die Niederlage bei Königgrätz
eingeschränkt) einen Konzertwalzer versprochen.
Es wurde der
Geniestreich seines Lebens, der Donauwalzer, ein Vokalstück, gewidmet
dem "Männergesang-Verein". Durchfall war das damals mit
"lustig-satirischem Text" aufgeführte Oeuvre entgegen später
kolportierten Stimmen keiner, obwohl der Walzer "nur" einmal wiederholt
wurde. Aber "Die Neue Freie Presse" urteilte: "Der liebliche Walzer mit
seinen einschmeichelnden Rhythmen dürfte bald zu den populärsten des
fruchtbaren Tanzkomponisten gehören und bildete eigentlich den einzigen
ungetrübten Lichtblick der Faschings-Liedertafel".
Nun hat der
"älteste und größte Männerchor Österreichs" einen Schatz seines
umfangreichen Archivs (in dem u.a. auch Handschriften Goethes,
Schuberts, Bruckner zu finden sind), der Öffentlichkeit zugänglich
gemacht. Der Original-Klavierauszug mit handschriftlichen Bemerkungen
von Johann Strauß wurde im Faksimiledruck aufgelegt. Wie die Mitglieder
des Wiener Männergesang-Vereins "ihren" Donauwalzer damals, in der
"Blüte ihres Vereinslebens" gesungen haben, ist nicht mehr
nachvollziehbar. Doch die Faksimileseiten strahlen mehr
Strauß-Authentizität aus, als manche zur Zeit über den TV-Schirm
flimmernde Soap-Opera über den Walzerkönig.
Nach insgesamt
fast 3000 Auftritten plant man im Verein nun Aktivitäten für das
150-Jahr-Jubiläum...Es ist, jubiläumsabhängig, das Verdienst des
Männergesang-Vereins, die stummen Seiten des "Wiener Walzers"
schlechthin sprechen gemacht zu haben, vielleicht mit den Worten Raoul
Aslans: "Im Donauwalzer liegt etwas Melancholisches, Schwermütiges, eine
sehnsüchtige Herzlichkeit, ja etwas Auslösendes, um nicht zu sagen
etwas Zerfallendes. Ich glaube, Johann Strauß hat darin seine unbewußte
Vorahnung des Zerfalles der Monarchie gegeben..."