FERMATS LETZTER SATZ

Über das Rätsel der Mathematik
und ein faszinierendes Buch zum Thema
(1997)

Die Rechnung geht auf: Ein Buch über Mathematik erobert nun auch auf deutsch zahlreiche Voyeure, die einmal einen Blick in den Zahlen-Olymp werfen möchten. Dort rechnet man gemäß dem Motto: "Wir müssen wissen, wir werden wissen." Bei Amateurmathematikern genügt die bloße Nennung des Namens Fermat, um Spannung aufkommen zu lassen. Genügte, muß man sagen, denn nur ein noch nicht erbrachter Beweis ist ein spannender Beweis. So widerfährt dem Leser gegen Ende des Buches, als das bisher größte mathematische Rätsel gelöst und der Beweis des Fermatschen Satzes gelungen ist, eine seltsame Tröstung: Es ist nicht so, daß Andrew Wiles, der Jahre seines Lebens opferte, um Pierre de Fermat auf die Schliche zu kommen, eine mathematische Ödnis, bar jeglicher Herausforderung, hinterlassen hätte. Es gibt gottlob noch Mathematik-Nüsse zu knacken! Freilich war der Versuch der Erbringung des Beweises der Fermatschen Vermutung, "x n + y n = z n hat keine ganzzahligen Lösungen für n größer als zwei", für Generationen von Mathematikern seit über 350 Jahren mehr als das Knacken einer harten Nuß. Von Fermat selbst ist ein Beweis für n = 4 überliefert, Euler bewies noch die Gültigkeit des Satzes für n = 3 (was bedeutend schwieriger war); doch dann folgte eine Jahrhunderte währende Denkphase, ohne daß der Durchbruch gelang. Gold oder der mathematische Kohinoor - das war für Zahlentheoretiker die Erbringung des Fermat-Beweises, der laut Vorwort maximal von einem halben Dutzend (!) Menschen weltweit verstanden wird. Vor der Lektüre des Buches mit dem Untertitel "Die abenteuerliche Geschichte eines mathematischen Rätsels" muß klargestellt werden, daß das, was im Schulunterricht unter dem Titel "Mathematik" meist lebenslange Sympathie oder Antipathie schafft, mit den Problemen um Fermats große Vermutung nichts zu tun hat. Wer es in Sachen Mathematik eher mit Peter Altenberg hält und ein resignierendes "Das-kann-niemand-Wissen" einer exakten Lösung vorzieht, dem erschließen sich in dem Bestseller des BBC-Wissenschaftsjournalisten Simon Singh dennoch Welten. Das Verhältnis der angesprochenen Art von Mathematik zu ihren Dienern, den Mathematikern, liest sich wie ein Psycho-Reiseführer in eine andere Geisteswelt. Die Beziehung der Mathematiker zu ihrer hohen Wissenschaft gleicht der eines erhabenen Priestertums gegenüber der Gottheit. Pythagoras legte den Grundstein für diesen "religiösen Bund", eine der angebeteten Gottheiten war die Zahl. Fermat, der die Lunte einer mathematischen Bombe legte, indem er eine Behauptung aufstellte und tückischerweise schrieb, er hätte einen wahrhaft wunderbaren Beweis dafür gefunden, aber der Platz würde nicht ausreichen, ihn anzuführen, war selbst "nur" Hobbymathematiker. Im Hauptberuf Jurist, hatte Fermat auch gar kein Interesse, für kommende Generationen von Mathematikbesessenen ein Lehrbuch zu hinterlassen. Er hatte die Genugtuung, ein Problem gelöst zu haben (ob er es wirklich gelöst hat, darüber gehen die Meinungen bis heute auseinander). "Der Beweis ist ein Götze, vor dem der Mathematiker sich foltert": Das Zitat Sir Arthur Eddingtons bringt die Obsession auf den Punkt. So empfand auch Wiles, kaum hatte der den Fermatschen Beweis nach geistigen Tantalusqualen in den neunziger Jahren unseres Jahrhunderts gefunden, neben dem "beschwingenden Gefühl der Erleichterung vor allem eines: Leere". Er berichtete von dem Empfinden, etwas verloren zu haben, was ihn von Kindheit an begleitet habe. Wiles beschrieb sein lustvolles Leiden mit der Mathematik wie einen Gang durch ein finsteres, fremdes Haus. Auch darauf legen Mathematiker Wert: Wahrhaft elegante und schöne Beweise können nur logisch erdacht - und niemals computererbracht sein. "Ich genoß es, meinen Grips daran zu erproben", meinte der Fermat-Bezwinger Wiles. Mathematiker, die sich an "abgehobenen" Problemen delektieren, haben die Brücke von der Naturwissenschaft zur Philosophie längst geschlagen und befinden sich auf dem direkten Weg zur Religion. "Gott existiert, weil die Mathematik konsistent ist, und der Teufel existiert, weil wir das nicht beweisen können", formulierte es Andre Weil.