Die Rechnung geht auf: Ein Buch über Mathematik erobert nun auch auf
deutsch zahlreiche Voyeure, die einmal einen Blick in den Zahlen-Olymp
werfen möchten. Dort rechnet man gemäß dem Motto: "Wir müssen wissen,
wir werden wissen." Bei Amateurmathematikern genügt die bloße Nennung
des Namens Fermat, um Spannung aufkommen zu lassen. Genügte, muß man
sagen, denn nur ein noch nicht erbrachter Beweis ist ein spannender
Beweis. So widerfährt dem Leser gegen Ende des Buches, als das bisher
größte mathematische Rätsel gelöst und der Beweis des Fermatschen Satzes
gelungen ist, eine seltsame Tröstung: Es ist nicht so, daß Andrew
Wiles, der Jahre seines Lebens opferte, um Pierre de Fermat auf die
Schliche zu kommen, eine mathematische Ödnis, bar jeglicher
Herausforderung, hinterlassen hätte. Es gibt gottlob noch
Mathematik-Nüsse zu knacken! Freilich war der Versuch der Erbringung des
Beweises der Fermatschen Vermutung, "x n + y n = z n hat keine
ganzzahligen Lösungen für n größer als zwei", für Generationen von
Mathematikern seit über 350 Jahren mehr als das Knacken einer harten
Nuß. Von Fermat selbst ist ein Beweis für n = 4 überliefert, Euler
bewies noch die Gültigkeit des Satzes für n = 3 (was bedeutend
schwieriger war); doch dann folgte eine Jahrhunderte währende Denkphase,
ohne daß der Durchbruch gelang. Gold oder der mathematische Kohinoor -
das war für Zahlentheoretiker die Erbringung des Fermat-Beweises, der
laut Vorwort maximal von einem halben Dutzend (!) Menschen weltweit
verstanden wird. Vor der Lektüre des Buches mit dem Untertitel "Die
abenteuerliche Geschichte eines mathematischen Rätsels" muß klargestellt
werden, daß das, was im Schulunterricht unter dem Titel "Mathematik"
meist lebenslange Sympathie oder Antipathie schafft, mit den Problemen
um Fermats große Vermutung nichts zu tun hat. Wer es in Sachen
Mathematik eher mit Peter Altenberg hält und ein resignierendes
"Das-kann-niemand-Wissen" einer exakten Lösung vorzieht, dem erschließen
sich in dem Bestseller des BBC-Wissenschaftsjournalisten Simon Singh
dennoch Welten. Das Verhältnis der angesprochenen Art von Mathematik zu
ihren Dienern, den Mathematikern, liest sich wie ein Psycho-Reiseführer
in eine andere Geisteswelt. Die Beziehung der Mathematiker zu ihrer
hohen Wissenschaft gleicht der eines erhabenen Priestertums gegenüber
der Gottheit. Pythagoras legte den Grundstein für diesen "religiösen
Bund", eine der angebeteten Gottheiten war die Zahl. Fermat, der die
Lunte einer mathematischen Bombe legte, indem er eine Behauptung
aufstellte und tückischerweise schrieb, er hätte einen wahrhaft
wunderbaren Beweis dafür gefunden, aber der Platz würde nicht
ausreichen, ihn anzuführen, war selbst "nur" Hobbymathematiker. Im
Hauptberuf Jurist, hatte Fermat auch gar kein Interesse, für kommende
Generationen von Mathematikbesessenen ein Lehrbuch zu hinterlassen. Er
hatte die Genugtuung, ein Problem gelöst zu haben (ob er es wirklich
gelöst hat, darüber gehen die Meinungen bis heute auseinander). "Der
Beweis ist ein Götze, vor dem der Mathematiker sich foltert": Das Zitat
Sir Arthur Eddingtons bringt die Obsession auf den Punkt. So empfand
auch Wiles, kaum hatte der den Fermatschen Beweis nach geistigen
Tantalusqualen in den neunziger Jahren unseres Jahrhunderts gefunden,
neben dem "beschwingenden Gefühl der Erleichterung vor allem eines:
Leere". Er berichtete von dem Empfinden, etwas verloren zu haben, was
ihn von Kindheit an begleitet habe. Wiles beschrieb sein lustvolles
Leiden mit der Mathematik wie einen Gang durch ein finsteres, fremdes
Haus. Auch darauf legen Mathematiker Wert: Wahrhaft elegante und schöne
Beweise können nur logisch erdacht - und niemals computererbracht sein.
"Ich genoß es, meinen Grips daran zu erproben", meinte der
Fermat-Bezwinger Wiles. Mathematiker, die sich an "abgehobenen"
Problemen delektieren, haben die Brücke von der Naturwissenschaft zur
Philosophie längst geschlagen und befinden sich auf dem direkten Weg zur
Religion. "Gott existiert, weil die Mathematik konsistent ist, und der
Teufel existiert, weil wir das nicht beweisen können", formulierte es
Andre Weil.