"Ich habe die Veranstalter damals, 1999, vor mir gewarnt. Nur Lachen,
Vergessen, ein Feuerwerk der guten Laune auf die Bühne bringen, das will
ich nicht." Sein Publikum, "lauter Erwachsene", just in dieser Nacht zu
erziehen, erschiene ihm freilich auch widersinnig. Hinter den Texten
und Liedern aber die Frage zu beantworten, "wie einer mit seinem
Menschenleben umgegangen ist", das kommt der Sache, die Michael Heltau
meint, näher.
Nicht von ungefähr sind Wien und Paris der
Humus, auf dem das für heuer ausgewählte Literatur- und Liedgut gedeihen
konnte. Beide Metropolen wirken als geistiger Anziehungspunkt, der seit
Jahrhunderten seine Magnetwirkung in allen Teilen der Welt spürbar
macht.
Heltau hat sich Wien zuerst "erliebt" und dann bewußt
erwählt. Das "einzig Traurige ist, daß ich hier nicht mehr geboren
werden kann", kokettiert er. Die Musik war es, die ihn zuerst nach Wien
brachte, ein Liederabend mit Julius Patzak. "Ich war fünfzehn. Er sang
Schuberts Schöne Müllerin." Wer das gehört hat, bei dem ist "etwas für's
Leben geschehen, oder nicht".
Als für die Klassik
Prädestinierten betrachtet sich der Doyen des Wiener Burgtheaters ebenso
wie als einen, der dem französischen Chanson und dem Wiener Lied
gleichermaßen verfallen ist. Texte wie "Erst, wenn' s aus wird sein"
seien zwar "kein Roman, aber wahnsinnig begabt". Aus diesen vielen
Lieben entstehen Programme wie das für Silvester.
Geistige
Sperrbezirke werden bewußt gemieden. Nicht so sehr auf das Was, auf das
Wie kommt es Heltau an. "Wien ist doch mittlerweile die einzige deutsche
Theater-Großstadt, dank dem Publikum. Überall sonst, selbst in Berlin,
herrscht Desinteresse", räsoniert er.
Apropos Deutschland. Daß
sich die Wiener Theater alle so nach Deutschland und dem dortigen
Feuilleton orientierten, bedauert er, um gleichzeitig seine Präferenz
preiszugeben: "Warum blicken wir nicht nach London? Auch dort ist
Klassisches die Grundvoraussetzung. Doch daneben werden Stoppard und
Pinter gepflegt. Diese Toleranz schätze ich am englischen
Theatersystem".
"Veredelte" Josefstadt
Auf Wien
übersetzt, hieße das, daß Burg, Akademietheater, Josefstadt,
Kammerspiele und Volkstheater eines vom anderen profitieren könnten. Auf
den leisen Vorwurf, daß es in der Josefstadt zuwenig große Literatur am
Spielplan gäbe, habe Paula Wessely einst geantwortet: "Stimmt, aber wir
haben es veredelt." Dieser Veredelung durch die Interpretation bedarf
laut Heltau alles, Klassik und "das Andere", denn "was haben wir von
einem schlecht gespielten Grillparzer?"
Genauso wichtig wie
das befruchtende Nebeneinander der Gattungen sei das Woher der
Interpreten. "Als wir am Volkstheater Shakespeares Troilus und Cressida
spielten, kam Fritz Muliar aus dem Simpl. Das ist Großstadt! Auch Paula
Wessely stand immer dazu, daß sie in ihren Theateranfängen mit der
Essiggurke in der Hand ein freches Liedl gesungen hat!"
Heltau
hat am Theater "fast alles gemacht. Wenn ich jetzt wählerisch bin und
einer sagt, paß' auf, daß sie dich nicht vergessen - das muß ich
riskieren." Viel riskiert er damit freilich nicht, wenngleich sich
Prioritäten verschieben. "Kleinproduktionen, Lesungen von Theaterszenen
oder Monologen, das ist für mich jetzt das Richtige." Er kann es sich
leisten, gelassen zu sagen, "ich weiß nicht, ob ich dem Regisseur
einfalle, mit dem ich dann will." Seine Verantwortung sei sehr, sehr
groß. Spannung und Abenteuer könnten nur auf Basis höchsten Niveaus
entstehen, nicht aus Leichtsinn.
Daß am Burgtheater die
Voraussetzungen zur Zeit stimmten, dafür ist Direktor Klaus Bachler,
laut Heltau, "sehr förderlich. Ich habe viele Leute gesehen, die sich in
dieser Position verändert haben. Das Schöne an Strehler war: Er ist
nicht auf sich selbst hereingefallen. Das trifft auf Bachler ebenso zu."
Ausreden gegenüber der jetzigen Direktion "gelten nicht".
"Wiener Theatermusiker"
Zum Vorgänger Peymann meint Heltau, der "durfte, was vor ihm niemand
durfte, so abgesichert und so unerhört erwünscht war er den Medien.
Alles, wirklich alles, wurde bei ihm in Kauf genommen." Auch die
Schließtage - aber die gibt es ja immer noch? Heltau: "Als das Arsenal
gebaut wurde, diente die Verminderung von Schließtagen mit als
Argumentation. Wenn Vorstellungen dort erarbeitet und auch aufgeführt
werden, ist das in Ordnung. Aber die ästhetischen Ansprüche des
Publikums haben sich gewandelt, und Produktionen, die an der Burg
geprobt werden, werden diesen Ansprüchen oft in Punkto Licht, etc. nicht
mehr gerecht. Freuen tut sich kein Direktor über Schließtage. Oft kommt
man nicht umhin und verbrämt sie durch Kleinproduktionen. Aber dafür
spielen jetzt alle am Haus in Großproduktionen, alle! Unter Peymann gab
es die einen und die anderen. Auch ich spielte nur mit den einen. Jetzt
gibt es ein Ensemble. Bachler hat die Voraussetzungen geschaffen, daß
alles gut läuft. Er kann ein gutes Klima erzeugen."
Das wird
Heltau, zusammen mit seinen "Wiener Theatermusikern", am späten Abend
des letzten Tages des Jahres zweifelsfrei auch wieder gelingen. Den
Jahreswechsel sieht der Schauspieler und Liedinterpret persönlich
übrigens gelassen: "Eine Türe. Wir gehen dauernd durch Türen. Die vom
31. Dezember auf den 1. Jänner ist markant, für viele ist sie eine
Juxtüre, wie im Prater. Für mich nicht. Ich bin sehr froh, daß ich
Silvester gesund erlebe, mit hellem Gemüt, und nicht beschattet". Jeder
Jahreswechsel sei Anstoß, keine Ausreden mehr gelten zu lassen. Alles,
was man sich im Laufe eines Lebens vorgenommen, aber immer aufgeschoben
habe, sollte man tun - jetzt.