MICHAEL HELTAU

Der Doyen des Wiener Burgtheaters im Gespräch
erschienen im Dezember 2002 in der Tageszeitung "Die Presse"

THEATER ZWISCHEN DEN ZEITEN

"Ich habe die Veranstalter damals, 1999, vor mir gewarnt. Nur Lachen, Vergessen, ein Feuerwerk der guten Laune auf die Bühne bringen, das will ich nicht." Sein Publikum, "lauter Erwachsene", just in dieser Nacht zu erziehen, erschiene ihm freilich auch widersinnig. Hinter den Texten und Liedern aber die Frage zu beantworten, "wie einer mit seinem Menschenleben umgegangen ist", das kommt der Sache, die Michael Heltau meint, näher.

Nicht von ungefähr sind Wien und Paris der Humus, auf dem das für heuer ausgewählte Literatur- und Liedgut gedeihen konnte. Beide Metropolen wirken als geistiger Anziehungspunkt, der seit Jahrhunderten seine Magnetwirkung in allen Teilen der Welt spürbar macht.

Heltau hat sich Wien zuerst "erliebt" und dann bewußt erwählt. Das "einzig Traurige ist, daß ich hier nicht mehr geboren werden kann", kokettiert er. Die Musik war es, die ihn zuerst nach Wien brachte, ein Liederabend mit Julius Patzak. "Ich war fünfzehn. Er sang Schuberts Schöne Müllerin." Wer das gehört hat, bei dem ist "etwas für's Leben geschehen, oder nicht".

Als für die Klassik Prädestinierten betrachtet sich der Doyen des Wiener Burgtheaters ebenso wie als einen, der dem französischen Chanson und dem Wiener Lied gleichermaßen verfallen ist. Texte wie "Erst, wenn' s aus wird sein" seien zwar "kein Roman, aber wahnsinnig begabt". Aus diesen vielen Lieben entstehen Programme wie das für Silvester.

Geistige Sperrbezirke werden bewußt gemieden. Nicht so sehr auf das Was, auf das Wie kommt es Heltau an. "Wien ist doch mittlerweile die einzige deutsche Theater-Großstadt, dank dem Publikum. Überall sonst, selbst in Berlin, herrscht Desinteresse", räsoniert er.

Apropos Deutschland. Daß sich die Wiener Theater alle so nach Deutschland und dem dortigen Feuilleton orientierten, bedauert er, um gleichzeitig seine Präferenz preiszugeben: "Warum blicken wir nicht nach London? Auch dort ist Klassisches die Grundvoraussetzung. Doch daneben werden Stoppard und Pinter gepflegt. Diese Toleranz schätze ich am englischen Theatersystem".

"Veredelte" Josefstadt

Auf Wien übersetzt, hieße das, daß Burg, Akademietheater, Josefstadt, Kammerspiele und Volkstheater eines vom anderen profitieren könnten. Auf den leisen Vorwurf, daß es in der Josefstadt zuwenig große Literatur am Spielplan gäbe, habe Paula Wessely einst geantwortet: "Stimmt, aber wir haben es veredelt." Dieser Veredelung durch die Interpretation bedarf laut Heltau alles, Klassik und "das Andere", denn "was haben wir von einem schlecht gespielten Grillparzer?"

Genauso wichtig wie das befruchtende Nebeneinander der Gattungen sei das Woher der Interpreten. "Als wir am Volkstheater Shakespeares Troilus und Cressida spielten, kam Fritz Muliar aus dem Simpl. Das ist Großstadt! Auch Paula Wessely stand immer dazu, daß sie in ihren Theateranfängen mit der Essiggurke in der Hand ein freches Liedl gesungen hat!"

Heltau hat am Theater "fast alles gemacht. Wenn ich jetzt wählerisch bin und einer sagt, paß' auf, daß sie dich nicht vergessen - das muß ich riskieren." Viel riskiert er damit freilich nicht, wenngleich sich Prioritäten verschieben. "Kleinproduktionen, Lesungen von Theaterszenen oder Monologen, das ist für mich jetzt das Richtige." Er kann es sich leisten, gelassen zu sagen, "ich weiß nicht, ob ich dem Regisseur einfalle, mit dem ich dann will." Seine Verantwortung sei sehr, sehr groß. Spannung und Abenteuer könnten nur auf Basis höchsten Niveaus entstehen, nicht aus Leichtsinn.

Daß am Burgtheater die Voraussetzungen zur Zeit stimmten, dafür ist Direktor Klaus Bachler, laut Heltau, "sehr förderlich. Ich habe viele Leute gesehen, die sich in dieser Position verändert haben. Das Schöne an Strehler war: Er ist nicht auf sich selbst hereingefallen. Das trifft auf Bachler ebenso zu." Ausreden gegenüber der jetzigen Direktion "gelten nicht".

"Wiener Theatermusiker"

Zum Vorgänger Peymann meint Heltau, der "durfte, was vor ihm niemand durfte, so abgesichert und so unerhört erwünscht war er den Medien. Alles, wirklich alles, wurde bei ihm in Kauf genommen." Auch die Schließtage - aber die gibt es ja immer noch? Heltau: "Als das Arsenal gebaut wurde, diente die Verminderung von Schließtagen mit als Argumentation. Wenn Vorstellungen dort erarbeitet und auch aufgeführt werden, ist das in Ordnung. Aber die ästhetischen Ansprüche des Publikums haben sich gewandelt, und Produktionen, die an der Burg geprobt werden, werden diesen Ansprüchen oft in Punkto Licht, etc. nicht mehr gerecht. Freuen tut sich kein Direktor über Schließtage. Oft kommt man nicht umhin und verbrämt sie durch Kleinproduktionen. Aber dafür spielen jetzt alle am Haus in Großproduktionen, alle! Unter Peymann gab es die einen und die anderen. Auch ich spielte nur mit den einen. Jetzt gibt es ein Ensemble. Bachler hat die Voraussetzungen geschaffen, daß alles gut läuft. Er kann ein gutes Klima erzeugen."

Das wird Heltau, zusammen mit seinen "Wiener Theatermusikern", am späten Abend des letzten Tages des Jahres zweifelsfrei auch wieder gelingen. Den Jahreswechsel sieht der Schauspieler und Liedinterpret persönlich übrigens gelassen: "Eine Türe. Wir gehen dauernd durch Türen. Die vom 31. Dezember auf den 1. Jänner ist markant, für viele ist sie eine Juxtüre, wie im Prater. Für mich nicht. Ich bin sehr froh, daß ich Silvester gesund erlebe, mit hellem Gemüt, und nicht beschattet". Jeder Jahreswechsel sei Anstoß, keine Ausreden mehr gelten zu lassen. Alles, was man sich im Laufe eines Lebens vorgenommen, aber immer aufgeschoben habe, sollte man tun - jetzt.