"Azalee", 1906

CARL LARSSON

über eine Retrospektive in Stockholm   (2006)

Weltflucht a la Suede

Carl Larssons Interieurbilder könnten einem Ikeakatalog des ausgehenden 19. Jahrhunderts entstammen. Der Maler hatte sich mit seiner Ehefrau und Künstlerkollegin Karin in der mittelschwedischen Provinz Dalarna eine Musteridylle geschaffen: Ein Holzhaus, in dem jedes Detail, vom Blumentischchen bis zu den Textilien, selbst entworfen war. Als Modelle dienten ihm die eigenen Familienmitglieder. Seine oft an Märchenbuch-Illustrationen erinnernden Darstellungen zeigen die acht Kinder, Klavier übend, Theater spielend oder am Frühstückstisch vor sich hin trotzend.

Larsson, der Heile-Welt-Maler, dessen Bücher schon im wilhelminischen Deutschland in hunderttausenden Exemplaren als Biederlichkeitsbibel verbreitet waren, hatte sich dieses Idyll ganz bewusst als Gegenwelt zur eigenen Jugend geschaffen: Aufgewachsen im Stockholmer Armenviertel lernte er das zusammengepferchte Leben ganzer Familien in nur einem Zimmer, Hunger, Seuchen und die Brutalität des Vaters, eines Trinkers, am eigenen Leib kennen. Er wollte sein Harmoniebedürfnis künstlerisch und als Lebensprogramm umsetzen. Eine Immunität gegen künstlerische Zeitströmungen zeigte sich bereits in Frankreich, wo er in der Malerkolonie Barbizon nicht dem Impressionismus frönte, sondern sich mit schwedischen Künstlerkollegen abschottete. Anders als beispielsweise sein skandinavischer Kollege Edvard Munch wird Larsson kein Dramatiker menschlicher Schicksale und großer nordischer Landschaften.

Strindberg nannte ihn einen Kriecher

Er schafft Bilder-Tagebücher seiner unmittelbaren Umgebung, erhält aber auch offizielle Aufträge für Monumentaldarstellungen in der Stockholmer Oper und im Nationalmuseum. Seine Freundschaft mit Strindberg, den er porträtierte, wird zur großen Lebensenttäuschung, als der Dichter ihn öffentlich der anbiedernden Kriecherei anprangert. Larsson bleibt seinem Lebensmodell treu, kultiviert seine bürgerliche Familienidylle, die auf einem sich verfestigenden Konservativismus und tiefer Gläubigkeit fußt. Dass er, möglichen Naivitätsvorwürfen zum Trotz, heute wieder - oder mehr denn je - zum Publikumsmagneten taugt, beweist die Münchner Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, die eine große Larsson-Retrospektive (samt begehbarem Faksimile-Blockhaus) noch bis 5. Februar zeigt.

Die Geschichte vom autarken Aussteiger, der als Künstler und bäuerlicher Selbstversorger der Welt den Rücken kehrt, kann auch reisend nachempfunden werden: Die Schweden-Werbung "Visit Sweden" bietet Touren auf Carl Larssons Spuren - Besichtigung des originalen, noch im Familienbesitz befindlichen Hauses inbegriffen - an.