JEDERMANNS ZIEHMUTTER

Max Reinhardts Erbe. Über Arisierung und Restitution Schloss Leopoldskrons und ein Denkmal für Helene Thimig.
Aus Anlaß des Erscheinens des Buches "Die Akte Leopoldskron" von Johannes Hofinger, 2005.
erschienen in: "Die Presse", 10. August 2005

DAS ANDENKEN EINES THEATERMACHERS

Max Reinhardt, dem geistigen Vater der Salzburger Festspiele, hätte die Szene vermutlich gefallen: Fernab einer glanzvollen Inszenierung, unbeobachtet von medialen Seitenblicken, nur im Frontalblickwinkel eingeweihter Theaterhabitues und touristischer Passanten, erinnerten sich auf der Seepromenade in Strobl am Wolfgangsee zwei der berühmtesten österreichischen Schauspieler einer Bühnenlegende. Enthüllt wurde ein Denkmal für Helene Thimig, die zweite Ehefrau Max Reinhardts, die dessen Jedermann-Inszenierung nach dem zweiten Weltkrieg in den Spielplan der Festspiele zurückholte und als Regisseurin für den Dauererfolg - und damit das Wahrzeichen des Festivals - mitverantwortlich war.

 Heltau und Schenk im Regen

Thimig zu Ehren erzählten Michael Heltau und Otto Schenk, beide von grünen Lodenpelerinen unzureichend gegen den Schnürlregen geschützt, aus dem Stegreif, jeder in der ihm eigenen, unnachahmlichen Sprache berührend von ihrer Lehrerin am Reinhardt-Seminar, ihrer Kollegin und mütterlichen Freundin.

Unweit der von Heltau, Schenk und Thimigs einstigem Kodirektor im Reinhardt-Seminar, Heinrich Kraus, initiierten und finanzierten Thimig-Büste steht jene Bank, von der aus die Künstlerin, die in Strobl eine Villa besaß, gern den Blick auf den Wolfgangsee genoss. Sie sei mehr als eine Person, "ein Blumenstrauß von Charakteren gewesen", schwärmte Schenk. Heltau hob den Realitätssinn der großen Schauspielerin hervor. Hätte man ihr von einem künftigen Thimig-Denkmal am Seeufer gesprochen, wäre ihre schlichte Antwort wohl ein Verweis zurück auf den Boden der Wirklichkeit gewesen. Die Thimig hätte nicht gerne, und wenn, dann ohne Ressentiments, in die Vergangenheit geblickt, so Zeitzeuge Schenk.

Dem Kapitel der Enteignung Max Reinhardts und Thimigs durch die Nationalsozialisten, das Schenk in seiner Rede streifte, widmet ein eben in Salzburg präsentiertes Buch breiten Raum. Genießen Heltau und Schenk noch das Privileg, aus eigener Erinnerung über Helene Thimig extemporieren zu können, so hat der 1978 geborene Historiker Johannes Hofinger eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Akte Leopoldskron, des dem Ehepaar Reinhardt-Thimig gehörenden Schlosses, als spannend zu lesende Dokumentation vorgelegt. Möglich wurde die Analyse dieses prominenten Arisierungsfalles einerseits durch die Zugänglichkeit von Akten im Rahmen der Tätigkeit der Österreichischen Historikerkommission, andererseits durch den Ankauf eines Teil-Nachlasses Max Reinhardts durch die Wiener Stadt- und Landesbibliothek, 1998.

Für Reinhardt, der Salzburg 1920 mit seiner Jedermann-Inszenierung aus dem kulturellen Dornröschenschlaf geweckt hatte, war das spätbarocke Schloss mit zugehörigem Weiher, Meierei und Liegenschaftsbesitz, Spielstätte seiner Theaterlust, die nie zwischen beruflicher und privater Szenerie unterschied. Reinhardt verlegte seinen Lebens- und Arbeitsmittelpunkt aber bewusst aus dem sich radikalisierenden Berlin in das ihn künstlerisch inspirierende Salzburg.

Max Reinhardt in Leopoldskron

Der Zeitpunkt der Immobilien-Investition war für den Käufer aufgrund der enormen Inflation nach dem Ersten Weltkrieg günstig, Reinhardt wusste diese wirtschaftliche Extremsituation zu nutzen, so Buchautor Hofinger, der einräumt: "Ob Max Reinhardt jedoch seine Besitzungen tatsächlich nur zum Teil bezahlte und - wie mancherorts behauptet wird - den Rest der Kaufsumme schuldig blieb, kann aus heutiger Sicht nicht mit Bestimmtheit gesagt werden."

Reinhardt, den Hugo von Hofmannsthal als "den besten Wohner" seiner Bekanntschaft rühmte, legte großen Wert auf standesgemäße Unterkünfte, in Berlin hatte er mit seiner ersten Frau, der Schauspielerin Else Heims, in einem Trakt des Schlosses Bellevue gewohnt, in Wien war es ihm gelungen, Wohnräume in der Hofburg zu bekommen. "Wohnungen sind schon in meiner Schauspieler-Zeit einer meiner wesentlichsten Lebensinhalte gewesen", gestand der "Theatrarch", wie ihn Egon Friedell einmal nannte. Von 1920 bis 1937 waren Schloss und Park Spielstätte für glanzvolle Reinhardtsche Empfänge.

Loek Huisman - ihn und Michael Heltau bezeichnete Helene Thimig in ihren Memoiren als "zwei der besten, ja genialsten Verarbeiter Reinhardtscher Lehren" - weiß aus Thimigs Erzählungen, dass Reinhardt, der persönlich scheu war, bei Empfängen der Gäste oft nur auf dem Balkon des Saales beobachtend anwesend war und die Begrüßungszeremonie der Ehefrau überließ.

Der Feste-Regisseur Reinhardt hatte beileibe nicht nur Freunde. Karl Kraus kritisierte Reinhardt für seinen konservativ-barocken Theaterstil und sein Vertrauter Hofmannsthal schrieb 1922 an Richard Strauss über Reinhardts Chancen, zum Festspielpräsidenten gewählt zu werden: "Reinhardt zum Präsidenten nehmen diese Spießbürger nie: Sie hassen ihn, hassen ihn drei- und vierfach, als Juden, als Schlossherrn, als Künstler, und einsamen, scheuen Menschen, den sie nicht begreifen."

Fest steht, dass der sinnlich-luxuriöse Lebensstil Reinhardts gerade in Zeiten extremer Wohnungsnot, wo in Salzburg in Privathäusern rückkehrende Soldaten und Unterstandslose zwangseinquartiert wurden, bei Neidern böses Blut machte und antisemitische Ressentiments schürte. Fest steht auch, dass Schloss Leopoldskron hypothekarisch belastet war - Reinhardt schuldete nicht nur Helene Thimig, sondern auch dem deutschen und österreichischen Fiskus Geld. Hofingers Buch widmet ein eigenes Kapitel dem "Schlossherrn und dem Geld".

Reinhardt, dessen "Jedermann"-Produktion von den Nationalsozialisten als "jüdisches Theaterstück mit katholisch-konservativer Ideologie" verachtet wurde, verließ Leopoldskron 1937 auf Nimmerwiedersehen, die Gestapo hat mit Beschlagnahme- und Einziehungsvefügung vom 16. April 1938 den Salzburger Besitz Reinhardts "zu Gunsten des Landes Österreich eingezogen" (zitiert nach Hofinger).

Restitution nach dem Krieg

Als Glück im Unglück kann angesehen werden, dass die NS-Elite das Gesamtkunstwerk Leopoldskron unverändert für ihre Repräsentationszwecke übernahm. Nach dem Krieg wurde Leopoldskron an die Erben des 1943 in New York verstorbenen Max Reinhardt, Helene Thimig und dessen Söhne aus erster Ehe, die alle drei US-Staatsbürger geworden waren, restituiert. Buchautor Hofinger: "Vor allem die alliierten Mächte Großbritannien und die USA drängten auf eine rasche Lösung der Rückstellungsangelegenheit. Trotz der Dauer des Verfahrens, die unter anderem ein Resultat der mehrmaligen Einsprüche der Finanzprokuratur war, kann für den Fall Leopoldskron eine neutrale, wenn nicht gar rückstellungsfreundliche Haltung der Finanzlandesdirektion Salzburg festgestellt werden."

1951 wurde das Eigentumsrecht je zur Hälfte für Helene Thimig und für die Reinhardtsöhne Gottfried und Wolfgang grundbücherlich eingetragen. Die Folge davon war nicht die erhoffte Befriedung und Ruhe, sondern "ein unerbittlicher Kampf der Söhne gegen mich", gestand Helene Thimig 1972, zwei Jahre vor ihrem Tod.

Johannes Hofinger: "Die Akte Leopoldskron, Max Reinhardt, das Schloss, Arisierung & Restitution" (Verlag Anton Pustet).