Arthur Schnitzler war Arzt und Dichter. Sein Enkel Michael ist Geiger
und Regenwaldretter. Die Neugier und die Lust an der Veränderung
scheinen im Erbgut verankert. Michael Schnitzler: "Ich habe 30 Jahre
alles getan, was ein Geiger tun kann. Irgendwann droht die Erstarrung."
Bis heute hat der ehemalige Konzertmeister der Wiener Symphoniker und
Primarius des Schnitzler-Quartetts eine Geigenklasse mit elf Schülern an
der Musikhochschule. Auch sein Haydn-Trio besteht nach wie vor. Aber
die Sehnsucht nach etwas ganz anderem schwelte schon länger - seit auf
dem musikalischen Sektor keine wirklichen Herausforderungen mehr
lockten. "Es gibt zwei Dinge, die ich nie gemacht habe. Beide reizen
mich nicht. Ich habe nie eine Solistenlaufbahn angestrebt und wollte nie
dirigieren. Mir genügt es zu wissen, daß ich das könnte." Plötzlich war
da etwas, was eine ganz andere Qualität innerer Genugtuung vermittelte:
In seinem "Zweitberuf" als Regenwaldretter in Costa Rica hält sich
Schnitzler für "unersetzbar". Durch die von ihm ins Leben gerufene
Spendenaktion "Regenwald der Österreicher" wird Quadratkilometer für
Quadratkilometer eines als Nationalpark gewidmeten Territoriums
freigekauft und vor der Rodung und endgültigen Zerstörung bewahrt.
Schnitzler: "Für die dortigen Bauern ist das, was ich mache, absolut
unverständlich. Für sie ist der Wald zum Ausbeuten da. Plötzlich kommen
Fremde, die unglaublich viel Geld für die Erhaltung des Waldes bezahlen.
Das sät Mißtrauen." Gewöhnlich manifestiert sich die Kluft zwischen
erster und dritter Welt in Unverständnis: "Wenn eine Mango bei uns einen
Schilling kostet und bei euch 40, warum pflanzt ihr dann keine Mangos
bei euch an?" fragt man den Professor. Und wie reagiert das Wiener
Musikleben auf den "einsamen Weg" des Kollegen? "Sie sagen es mir nicht
ins Gesicht." Manche, etwa Claudio Abbado, beteiligen sich am Projekt
und kaufen Regenwald. Andere machen einen Lokalaugenschein, zum Beispiel
die Kollegen vom Haydn-Trio.
Die Prioritäten in Schnitzlers
Leben sind jetzt anders gesetzt. Die naive touristische Begeisterung ob
der wunderbaren Fauna und Flora im tropischen Regenwald ist dem
Dauerpendler verlorengegangen. Daß nachts die Tukane durch die
Fensterhöhlungen kommen und auch schon wiederholt Nasenbären in seinem
bescheidenen Haus in Costa Rica zu Gast waren, verstärkt das Gefühl, in
einer "anderen Welt" zu sein. "Wenn ich am ersten Tag nach meiner
Rückkehr nach Wien in der Küche frühstücke und die Kaffeemaschine, den
Mixer, den Mikrowellenherd sehe - dann denke ich, daß mir ,drüben' gar
nichts abgeht. Aber ich ziehe nicht die radikale Konsequenz, daß ich
jetzt nur noch barfuß ginge. Dazu bin ich zu bequem." So bleiben die
beiden Welten des Michael Schnitzler nach außen hin säuberlich getrennt.
Die Geige bleibt in Wien. Ein einziges Mal hat er sie mitgenommen. Nach
zehn Tagen hat sie ihm die Übersiedlung ins tropische Paradies damit
gedankt, daß sich ihr Hals abgelöst hat. "Sie geht mir dort nie ab",
sagt Schnitzler. Wenn er zur Rettung des Regenwaldes aufgeigt, ist er
sich der Risken bewußt: "Wer dort Geld hat, ist verdächtig. Er ist
entweder Drogenhändler oder Drogenschmuggler." Wenn der Professor aus
Wien mit einem Koffer Geld in die Bank kommt, machen sich die dort ihren
Reim darauf. Aber dem Import steht auch ein Export gegenüber, wenn
Schnitzler etwa für eine Regenwaldausstellung zehn Kilo Erde im
Handgepäck nach Wien bringt. "Was ich tue, ist für einen Geiger
wahrscheinlich ungewöhnlich." Dennoch sieht sich Schnitzler nicht als
"Aussteiger". Solche gebe es dort an den tropischen Stränden in
beachtlicher Zahl. "Die haben einen sehr niedrigen Lebensstandard und
brauchen kaum Geld. Oft sind es ehemalige Hippies aus den USA, die als
Blumenkinder hergekommen und dann geblieben sind." Zwischen deren Leben
in Costa Rica und dem des Professors liegen noch einmal Welten. Dann wer
von diesen Zivilisationsflüchtlingen ist trotz des Urwaldbodens unter
den Füßen so im alten Europa verwurzelt, daß er sich noch an die
Begegnungen mit Großmutter Olga Schnitzler erinnern kann? "Ich bin 1944
in Berkeley, Kalifornien, geboren. Den Großvater, Arthur Schnitzler,
kannte ich nicht mehr. Aber an seine geschiedene Frau kann ich mich gut
erinnern: Sie war in die USA emigriert und lebte auch noch dort, als ich
ein Kind war. Ich wurde ihr zum Spielen gebracht. Es war tödlich
langweilig für mich. Ich wartete nur darauf, abgeholt zu werden. Sie
sprach immer nur über sich, darüber, wie toll und bedeutend sie sei. Sie
lebte in der Vergangenheit und konnte auf Kinder überhaupt nicht
eingehen." Die Großmutter habe Alma Mahler-Werfel gut gekannt und sich
diese zum Vorbild genommen.