PIER PAOLO PASOLINI

"Pier paolo Pasolini und der Tod" hieß eine Ausstellung in München, die an einen universellen, seherischen Intellektuellen erinnerte.

"Ich rekonstruiere alles"

Das Markenzeichen P. P. P. hatte er sich selbst verpasst. Hinter den Initialen Pier Paolo Pasolinis verbarg sich, um in der Wirtschaftssprache zu bleiben, ein intellektueller Mischkonzern. Pasolini war Filmregisseur, Dichter - und bildender Künstler. In der Münchner Pinakothek der Moderne blickt er uns aus einer Reihe von Selbstporträts entgegen, die inhomogener nicht sein könnten. Buntstiftzeichnungen eines jungen, unrasierten Brillenträgers, ein apollinischer Kopf mit weißer Blume, kontrastiert vom Selbstbildnis aus 1947, das den 25-Jährigen vor dem Hintergrund eines knienden Bauernburschen mit Sonnenhut zeigt.

Während sich das "brave" (Selbst-)Bildnis, das Pasolinis Kopf zum Teil verdeckt, jeglicher Farbe enthält, dominieren im bildbeherrschenden Gesicht düstere Schatten, eine Hälfte des Pullovers leuchtet im selben Rot wie die Blume, die unschwer als politisches Symbol zu interpretieren ist. Der in kleinstbürgerliche Verhältnisse geborene Sohn eines Infanterieoffiziers und einer Lehrerin war just im Jahr, in dem das Temperabild mit der roten Nelke entstand, in die PCI eingetreten. Der Parteiausschuss erfolgte bereits zwei Jahre später. Aus demselben Grund, warum man ihn auch als Lehrer feuerte: Man beschuldigte ihn homosexueller "obszöner Handlungen".

"Unvereinbarkeit von Kulturen"

In den Fünfzigerjahren erforscht P. P. P. als Journalist die Randbezirke Roms, nicht nur in geografischer Hinsicht. Er widmet sich Milieustudien, lernt auch die Schriftsteller Elsa Morante und Alberto Moravia kennen. Pasolini schreibt Romane, Zeitungsartikel, seit seiner Kindheit auch Gedichte, viele im Dialekt seiner friulanischen Heimat.

Früh erkennt und erleidet er die Verluste, die sich abzeichnen. Als scharfer Gesellschaftskritiker zeigt er geradezu prophetisch auf, woran das ausgehende 20. und das beginnende 21. Jahrhundert leiden werden. Die Medien, vor allem das Fernsehen, würden zur Vereinnahmung und Nivellierung von Kultur, Sprache und Sozialverhalten führen; Traditionen seien zum Untergang verurteilt. Pasolini ekelte vor dem blinden, oktroyierten Massenkonsum: "Der wahre Faschismus von heute besteht in der gigantischen kulturellen Angleichung, der man Rebellion und Verweigerung entgegensetzen muss, Werte, die Widerstandskraft erzeugen gegen die Zerstörung des Menschlichen, eine Zerstörung, die Hauptziel der heutigen Machthaber ist."

In seinen großen Filmen distanziert er sich von der kommerzialisierten US-Wunderwelt, behandelt die archaischen Themen, die die Menschheit seit der antiken Tragödie beschäftigen: Schönheit, Gewalt und Tod, Liebe und Sexualität in allen Spielarten, und immer wieder: Religion. Pasolinis Bilderwelt ist poetisch und zart, aber auch klar und kalt wie Eisblumen. Seinen Medea-Film, mit Maria Callas in der Titelrolle, baut er als Drama rund um den Clash of Civilizations auf: Medea steht für die religiöse, archaische Welt, Jason für die rationale, neue. Er hat in Pasolinis Film, wie die Generation seiner eigenen Zeitgenossen, jeden Sinn für das Metaphysische verloren, er will nur eines: Erfolg.

Pasolini, der prononcierte Linke, ortete die "Unvereinbarkeit von Kulturen": "Als ich diese Tragödie der Barbarei ausgewählt habe, hat mich die Maßlosigkeit der Liebe am meisten fasziniert." Die mit ihm befreundete Maria Callas zeichnet er mehrmals, jeweils im Profil, das ausdrucksvolle Auge betonend, der Platz um den Mund der Sängerin bleibt angedeutet.

Die Ausstellung umkreist P. P. P. dreifach: Eine kinematografische Auswahl gibt Einblicke in die visuelle Umsetzung seiner Weltsicht. Die "veröffentlichte Person" namens Pasolini ist durch seine Biografie und die von ihm provozierten Skandale präsent. Am Endpunkt der Vita steht ein gewaltsamer, medienwirksam inszenierter Tod.

Von mehreren Männern ermordet?

Am Allerseelentag 1975 fand man am Strand von Ostia "einen Haufen Müll": der erschlagene und von seinem eigenen Wagen mehrmals überfahrene Körper Pasolinis. Im Mai 2005 hat der mutmaßliche Mörder sein Geständnis zurückgezogen. Der zur Tatzeit minderjährige Strichjunge behauptet heute, P. P. P. sei von mehreren Männern ermordet worden; er habe unter Drohungen die Tat auf sich genommen. Folgt eine neuerliche strafrechtliche Aufrollung? Pasolinis langjähriger Freund Zigaina, der das Opfer am Schnittpunkt zwischen Urchristentum und moderner Gnosis sieht, deutet Pasolinis Tod als penibel geplanten Sühnetod, um von seinem "Glauben an die Realität und die Wirksamkeit des Mythos" Zeugnis abzulegen. "Der Tod liegt nicht im Sich-nicht-mitteilen-Können, sondern im Nicht-mehr-verstanden-werden-Können", meinte P. P. P.

"Die Montage bearbeitet das Material des Films - wie der Tod das Leben bearbeitet." Pasolini war ein großer In-Szene-Setzer und Spieler, der Wahrheiten gerne in ihr Gegenteil umkehrte. "Alles, was mystisch ist, ist realistisch und alles, was realistisch ist, ist mystisch" hinterließ er den heutigen Rekonstrukteuren seines Todes ebenso wie den für ihn typischen Satz: "Ich hasse Natürlichkeit. Ich rekonstruiere alles."