Man braucht sie beispielsweise zur Umsetzung der EU-Habitat-Richtlinie,
die den Artenreichtum in der Union schützen und bewahren möchte. Sie
bewährt sich ebenso bei der Erfassung von Struktur und Zustand der
Vegetation, ja sogar jedes einzelnen Baums oder Buschs. Sie dient in der
Architektur der Rekonstruktion zerstörter Baudenkmäler, wie der
Buddha-Statuen im afghanischen Bamiyan. Und wer via "Google Earth" oder
"Bing Maps" durch die Straßen einer ihm fremden Stadt fährt, der könnte
das auch nicht ohne sie tun.
Die Rede ist von der
Photogrammetrie und ihrer "Schwester", der Fernerkundung. Vor genau
hundert Jahren hat der aus dem mährischen Budwitz (Moravske Budejovice)
stammende Altösterreicher Eduard Dolezal in Wien die "internationale
Gesellschaft für Photogrammetrie" gegründet. Heute nennt sie sich ISPRS
(International Society for Photogrammetry and Remote Sensing), die
Fernerkundung ist im Titel dazugekommen. "Die Fernerkundung erfasst
geophysikalische Zustände, unter Photogrammetrie versteht man die
objektbezogen geometrische Modellierung", erläutert Norbert Pfeifer,
Professor an der TU Wien. Beide Richtungen zaubern, sehr vereinfacht und
laienhaft formuliert, aus Fotos anschauliche 3-D-Modelle.
Die
Photogrammetrie hat sich, wie ihr Name vermuten lässt, aus der
Fotografie entwickelt. Als Grundidee dient das menschliche Auge. Unsere
beiden Sehorgane, in einem fixen Abstand zueinander positioniert,
liefern dem Gehirn die Bilder, die dieses in Dreidimensionalität
umrechnet. So ähnlich, dachten die Geodäten vor mehr als hundert Jahren,
könnte es ja auch mit von einem Fotoapparat aufgenommenen Bildern
funktionieren: Man konstruierte Spezialkameras, die in den heutigen
hochgenauen Digital-Luftbildkameras gipfeln. Auch
"Airborne-Laser-Scanner", die Entfernungen aus der Reflexion des Lichts,
das sie aussenden, berechnen, gehören heute zu den Sensoren, die die
Daten "von oben" für die Berechnung von 3-D-Bildern liefern.
Hilfe bei Katastrophen. Wenn im Rahmen des heurigen ISPRS-Meetings, das
ab kommendem Donnerstag in Wien stattfindet, die Broschüre
"Geoinformation for Disaster and Risk Management" (United Nations Office
for Outer Space Affairs) vorgestellt wird, dann geht es um das, was man
in der Fachsprache plakativ "Desaster Management" nennt. Man braucht
dazu Daten, wo sich ein Ölteppich bildet, ein Tsunami gewütet hat oder
eine Windhose ihre Spur hinterlassen hat. Bilder aus der Luft sind dafür
besonders wertvoll - einerseits, um das volle Ausmaß der Katastrophe
feststellen zu können, andrerseits um Wege für Hilfestellungen zu orten.
Luftbilder liefern dabei viel genauere Bilder als Satelliten - wenn
man "Glück im Unglück" hat, stehen auch Letztere von einem
Katastrophengebiet zur Verfügung. Denn: "Hochauflösende Satelliten
nehmen ja nicht permanent Daten auf, sondern nur, wenn sie bestellt und
bezahlt sind", erläutert Peifer.
Abgesehen von militärischen
Interessen sind es vor allem Umweltanliegen, die aus der Perspektive
"von oben" einer Lösung zugeführt werden können - Stichwort: sustainable
development. "Es ist weltweit eine Ressourcenknappheit zu beobachten,
ein immer größerer Anteil der Weltbevölkerung lebt in städtischen
Ballungsräumen. Andererseits bedeckt Wald ein Fünftel bis ein Viertel
der Erdoberfläche. Um hier globale Maßnahmen setzen zu können, brauchen
wir anschauliche Modelle", sagt der Experte. Solche liefern virtuelle
Welten, die aus Photogrammetrie und Remote-Sensing gewonnen werden. Der
enorme Rechenaufwand, den man in der Pionierzeit dieser Wissenschaft
leisten musste, fällt heute großteils dem Computer zu.
Doch
gerade in Zeiten schwerer Naturkatastrophen und des Klimawandels wollen
unzählige Daten weltweit aufgenommen und gespeichert werden - aktuelle
Gefahrenzonenkarten kommen ebenfalls nicht ohne die Wissenschaft der
Photogrammetrie aus.
Beispielsweise wurde das durch den
Angriff vom 11. September 2001 zerstörte World Trade Center in New York
in der Folge täglich ("rapid mapping") von Flugzeugen aus aufgenommen
und kartiert, um die Aufräumungsarbeiten zu koordinieren. Sogar die
Baufirmen, die den Schutt abtransportierten, rechneten danach ab. Mit
dem verbreiterten Anwendungsgebiet treten neue Fragen in den
Vordergrund, beispielsweise: Welche der vielen aufgenommenen Daten soll
man speichern, welche wieder löschen?
Dolezal hat früh
erkannt, dass die Photogrammetrie nicht nur für Lehrer an der Hochschule
ein fruchtbares, neues Wirkungsfeld ist. Bei Dolezals
photogrammetrischen Übungen wird er von einem seiner Hörer an der
Technischen Hochschule, dem damaligen Hauptmann des militärgeografischen
Institutes und Marineoffizier Theodor Scheimpflug, unterstützt, der
bald das militärische und maritime Potenzial der Photogrammetrie
entdeckte. Er hatte schon 1896 die Idee, die Fotografie als ideales Bild
der Erdoberfläche direkt als Karte zu verwenden.
Wiener
Pioniere. Der Pionier der Photogrammetrie war nicht nur Theoretiker, er
ließ im Wien der Jahrhundertwende auch gleich die notwendigen
Instrumente, etwa ein Stereo-Foto-Tachymeter, bauen. Die ursprüngliche
Idee, die dritte Dimension durch Positionierung zweier Kameras in einem
fixen Abstand voneinander zu montieren, wird durch Einbau der Sensoren
in Flugzeuge oder Satelliten perfektioniert: Durch die Fortbewegung
werden automatisch Bilder aus verschiedenen Positionen aufgenommen.
Pfeifer: "Erfreulicherweise hat Österreich heute - nach einer
jahrzehntelangen Pause - wieder die Nase vorne, was die Entwicklung von
Hard- und Software für die Photogrammetrie betrifft."