Pionier Eduard Dolezal

WAS IST PHOTOGRAMMETRIE?

Überlegungen anläßlich eines Kongresses in Wien
(2010)

erschienen im Juni 2010 in der "Presse am Sonntag"

Man braucht sie beispielsweise zur Umsetzung der EU-Habitat-Richtlinie, die den Artenreichtum in der Union schützen und bewahren möchte. Sie bewährt sich ebenso bei der Erfassung von Struktur und Zustand der Vegetation, ja sogar jedes einzelnen Baums oder Buschs. Sie dient in der Architektur der Rekonstruktion zerstörter Baudenkmäler, wie der Buddha-Statuen im afghanischen Bamiyan. Und wer via "Google Earth" oder "Bing Maps" durch die Straßen einer ihm fremden Stadt fährt, der könnte das auch nicht ohne sie tun.

Die Rede ist von der Photogrammetrie und ihrer "Schwester", der Fernerkundung. Vor genau hundert Jahren hat der aus dem mährischen Budwitz (Moravske Budejovice) stammende Altösterreicher Eduard Dolezal in Wien die "internationale Gesellschaft für Photogrammetrie" gegründet. Heute nennt sie sich ISPRS (International Society for Photogrammetry and Remote Sensing), die Fernerkundung ist im Titel dazugekommen. "Die Fernerkundung erfasst geophysikalische Zustände, unter Photogrammetrie versteht man die objektbezogen geometrische Modellierung", erläutert Norbert Pfeifer, Professor an der TU Wien. Beide Richtungen zaubern, sehr vereinfacht und laienhaft formuliert, aus Fotos anschauliche 3-D-Modelle.

Die Photogrammetrie hat sich, wie ihr Name vermuten lässt, aus der Fotografie entwickelt. Als Grundidee dient das menschliche Auge. Unsere beiden Sehorgane, in einem fixen Abstand zueinander positioniert, liefern dem Gehirn die Bilder, die dieses in Dreidimensionalität umrechnet. So ähnlich, dachten die Geodäten vor mehr als hundert Jahren, könnte es ja auch mit von einem Fotoapparat aufgenommenen Bildern funktionieren: Man konstruierte Spezialkameras, die in den heutigen hochgenauen Digital-Luftbildkameras gipfeln. Auch "Airborne-Laser-Scanner", die Entfernungen aus der Reflexion des Lichts, das sie aussenden, berechnen, gehören heute zu den Sensoren, die die Daten "von oben" für die Berechnung von 3-D-Bildern liefern.

Hilfe bei Katastrophen. Wenn im Rahmen des heurigen ISPRS-Meetings, das ab kommendem Donnerstag in Wien stattfindet, die Broschüre "Geoinformation for Disaster and Risk Management" (United Nations Office for Outer Space Affairs) vorgestellt wird, dann geht es um das, was man in der Fachsprache plakativ "Desaster Management" nennt. Man braucht dazu Daten, wo sich ein Ölteppich bildet, ein Tsunami gewütet hat oder eine Windhose ihre Spur hinterlassen hat. Bilder aus der Luft sind dafür besonders wertvoll - einerseits, um das volle Ausmaß der Katastrophe feststellen zu können, andrerseits um Wege für Hilfestellungen zu orten.

Luftbilder liefern dabei viel genauere Bilder als Satelliten - wenn man "Glück im Unglück" hat, stehen auch Letztere von einem Katastrophengebiet zur Verfügung. Denn: "Hochauflösende Satelliten nehmen ja nicht permanent Daten auf, sondern nur, wenn sie bestellt und bezahlt sind", erläutert Peifer.

Abgesehen von militärischen Interessen sind es vor allem Umweltanliegen, die aus der Perspektive "von oben" einer Lösung zugeführt werden können - Stichwort: sustainable development. "Es ist weltweit eine Ressourcenknappheit zu beobachten, ein immer größerer Anteil der Weltbevölkerung lebt in städtischen Ballungsräumen. Andererseits bedeckt Wald ein Fünftel bis ein Viertel der Erdoberfläche. Um hier globale Maßnahmen setzen zu können, brauchen wir anschauliche Modelle", sagt der Experte. Solche liefern virtuelle Welten, die aus Photogrammetrie und Remote-Sensing gewonnen werden. Der enorme Rechenaufwand, den man in der Pionierzeit dieser Wissenschaft leisten musste, fällt heute großteils dem Computer zu.

Doch gerade in Zeiten schwerer Naturkatastrophen und des Klimawandels wollen unzählige Daten weltweit aufgenommen und gespeichert werden - aktuelle Gefahrenzonenkarten kommen ebenfalls nicht ohne die Wissenschaft der Photogrammetrie aus.

Beispielsweise wurde das durch den Angriff vom 11. September 2001 zerstörte World Trade Center in New York in der Folge täglich ("rapid mapping") von Flugzeugen aus aufgenommen und kartiert, um die Aufräumungsarbeiten zu koordinieren. Sogar die Baufirmen, die den Schutt abtransportierten, rechneten danach ab. Mit dem verbreiterten Anwendungsgebiet treten neue Fragen in den Vordergrund, beispielsweise: Welche der vielen aufgenommenen Daten soll man speichern, welche wieder löschen?

Dolezal hat früh erkannt, dass die Photogrammetrie nicht nur für Lehrer an der Hochschule ein fruchtbares, neues Wirkungsfeld ist. Bei Dolezals photogrammetrischen Übungen wird er von einem seiner Hörer an der Technischen Hochschule, dem damaligen Hauptmann des militärgeografischen Institutes und Marineoffizier Theodor Scheimpflug, unterstützt, der bald das militärische und maritime Potenzial der Photogrammetrie entdeckte. Er hatte schon 1896 die Idee, die Fotografie als ideales Bild der Erdoberfläche direkt als Karte zu verwenden.

Wiener Pioniere. Der Pionier der Photogrammetrie war nicht nur Theoretiker, er ließ im Wien der Jahrhundertwende auch gleich die notwendigen Instrumente, etwa ein Stereo-Foto-Tachymeter, bauen. Die ursprüngliche Idee, die dritte Dimension durch Positionierung zweier Kameras in einem fixen Abstand voneinander zu montieren, wird durch Einbau der Sensoren in Flugzeuge oder Satelliten perfektioniert: Durch die Fortbewegung werden automatisch Bilder aus verschiedenen Positionen aufgenommen. Pfeifer: "Erfreulicherweise hat Österreich heute - nach einer jahrzehntelangen Pause - wieder die Nase vorne, was die Entwicklung von Hard- und Software für die Photogrammetrie betrifft."