Henry Louis de la Grange, der bis in seine 90. Lebensjahr energiegeladene Musikwissenschaftler, hatte sein Leben Gustav Mahler gewidmet. Die
"Mediatheque Musicale Mahler", de la Granges Haus in Paris, beherbergt
ein breites Spektrum an Literatur und Musikaufnahmen. Sogar die
charakteristische Mahler-Brille findet sich in der Privatsammlung. In seinem letzten Lebensjahr
hat de la Grange in Zusammenarbeit mit dem Pariser Rodin-Museum einen
Coup gelandet: Die Mahler-Büste, die auch im Schwindfoyer der Wiener
Staatsoper steht, soll als Remake nachproduziert und verkauft werden.
Es war Carl Moll, der malende Stiefvater von Alma Mahler, der die Idee
hatte, seinen Schwiegersohn bei Auguste Rodin modellieren zu lassen. Das
Netzwerk zwischen Wien und Paris war engmaschig, nicht zuletzt dank der
Journalistin Berta Zuckerkandl. Die Schwägerin von Paul Clemenceau, dem
Bruder des Politikers, war daran beteiligt, dass die beiden Großmeister
Rodin und Mahler einander kennenlernten. Bertas gesellschaftliche
Einfädelungskunst war schicksalhaft für Mahler: In ihrem Wiener Salon
hatte er seine spätere Ehefrau Alma kennengelernt! Der Kontakt
Mahler-Rodin wurde nicht innig, hat aber immerhin zum Entstehen einer
Serie von Mahler-Büsten geführt. Der ungeduldige Mahler war von der Idee
des Stillsitzenmüssens im Atelier wenig begeistert. Erst eine List -
man tat so, als sei es der dringende Wunsch von Rodin, Mahlers
Charakterkopf zu gestalten - stimmte den Komponisten um. Mahler sprach
kaum Französisch, Rodin nicht Deutsch. Rodin unterhielt zwar in Meudon
einen musikalischen Salon, interessierte sich aber nicht übermäßig für
diese Kunstsparte.
Eitel waren beide. Mahler soll aus einer Sitzung bei Rodin, als dieser
ihn bat, niederzuknien, beleidigt auf und davon gegangen sein. Dabei
wollte der Bildhauer lediglich den Kopf seines Modells von oben
studieren. Dasselbe Missverständnis wiederholte sich übrigens 1915, als
Rodin Papst Benedikt XV. um einen Kniefall ersuchte . . .
Rodin hatte zwei verschiedene Versionen der Mahler-Büste modelliert:
eine, die den Kopf des Komponisten geradezu fotografisch wiedergab. Und
eine, die mehr Interpretationsspielraum zuließ, indem sie einen extrem
fragilen Mann zeigte, in faszinierender Dualität von Sensibilität und
fordernder Stärke. Diese "Version B" hat Alma Mahler 1931, anlässlich
des 20. Todestages ihres Gatten, der Wiener Staatsoper geschenkt.
Für Rodin, der in Mahlers Physiognomie eine Mischung aus "Franklin,
Friedrich den Großen und Mozart" gesehen haben soll, wurde der Auftrag
zum großen Erfolg. Er präsentierte die Büsten in ganz Europa, 1912 auch
beim Hagenbund in Wien. Ehrbezeugung für Rodin stand in den
Kunstbesprechungen kaum eine Erwähnung des porträtierten Komponisten
gegenüber.
Ob Mahler mit dem Ergebnis von Rodins Arbeit zufrieden war ist fraglich.
Heute jedenfalls kann man die Büste (Version B) in einer
oberflächenbearbeiteten Harzreplik um 4900 Euro im Pariser Rodin-Museum
kaufen. Vorausgesetzt, es melden sich genügend Interessenten!
Informationen unter: tagu@musee-rodin.fr