Auf der Museumsmeile in Amsterdam, unweit des durch eine
Generalsanierung zum Teil verwaisten Rijksmuseums, lockt derzeit eine
Sonderschau die Massen ins Van-Gogh-Museum. In Kooperation mit dem New
Yorker Metropolitan Museum of Art werden an die hundert Zeichnungen des
Künstlers präsentiert, der nicht als Meister der subtilen Federstriche,
sondern als Genius bis dahin nicht da gewesener Farborgien in Öl auf
Leinwand ins Bewusstsein der Welt einging.
Das Besondere an
der Präsentation des "anderen" Van Gogh, des lernbegierigen Zeichners:
Viele der Blätter, die internationalen öffentlichen und privaten
Sammlungen entstammen, müssen wegen ihrer extremen Lichtempfindlichkeit
meist unter Verschluss gehalten werden.
Seit 1880 hatte sich
der damals 27-jährige Vincent van Gogh verstärkt dem Zeichnen gewidmet,
einer Gattung, die er nie nur als Vorstadium oder Exerzierfeld für das
Ölmalen, sondern als ein eigenständiges Genre sah. Frühe Blätter zeugen
von seinem eingehenden Studium der Perspektive, Landschaften scheinen in
extremer Weise Tiefenwirkung zu provozieren.
Die Schau zeigt
nicht nur fertige Blätter und stellt diese Zeichenblätter den selben
Sujets in Öl gegenüber, sondern lässt den Besucher auch am
Entstehungsprozess teilhaben: Skizzenbücher erwachen dank
Computeranimation zum Leben und entblättern Studie für Studie, Blatt für
Blatt das Ringen um grafische Wiedergabe. Briefe des Künstlers
vervollständigen das Sich-Hineinleben des Besuchers in die
Künstlerpersönlichkeit.
Unstetes Reiseleben
Van
Goghs Lebensweg war serpentinenhaft geschlungen, gekennzeichnet von
frühen Selbstzweifeln, als er seinen Lebensunterhalt noch als Kunst- und
Buchhändler fristete und auch Prediger war. Sein unstetes Reiseleben
führte ihn von Paris nach Arles, schließlich in das unvergleichliche
Mal-Licht Südfrankreichs. Seine Selbstkritik konnte auch in Euphorie
umschlagen, als er im gelben Haus ein Studio des Südens, gleichsam als
Künstlerkolonie, erträumte. Der lang ersehnte Besuch seines
Malerfreundes Paul Gauguin endete in einem Streit, der in der
Selbstverstümmelung Van Goghs am Ohr eskalierte.
Hatte der
Künstler noch in Den Haag vornehmlich Stadtansichten zu Papier gebracht,
so war er mehr und mehr vom Menschen als Sujet fasziniert. Er malte
Weber, Bauern, einfache Menschen. Eine Phase intensiven Aktzeichnens
endete, als man ihn öffentlich an den Pranger stellte, weil ein Modell
angeblich von ihm schwanger geworden sein soll. Zeitlebens nahm er als
Künstler Maß an anderen Künstlern. Van Gogh wurde nicht müde, deren
technische Fertigkeiten zu studieren. Als er fand, dass es seinen
Figuren an der nötigen Plastizität mangelte, vertiefte er sich intensiv
in die Kunst von Eugene Delacroix.
Weil die nervlichen
Beschwerden, von einer speziellen Art der Epilepsie noch verstärkt,
unerträglich wurden, begab er sich freiwillig in eine Klinik in Saint
Remy. Zeichnungen, die innerhalb der Anstaltsmauern (Van Gogh durfte die
Klinik nicht verlassen) entstanden, geben in besonders ausdrucksstarker
Form Bäume, Wiese, Brunnen und Zaun wieder, die sich wie in Trance in
Tanzbewegungen zu wiegen scheinen. Jenseits der Mauer konnte der
Künstler den Wandel der Jahreszeiten am wechselnden Farbenspiel der
Felder beobachten. Auch hier stellt die Schau in beeindruckender Weise
dasselbe Feldsujet in grafischer der Malversion gegenüber.
Blumenorgien wie von Klimt
Als Van Gogh vor 115 Jahren, am 27. Juli 1890, durch eigene Hand
starb, hatte er ein vielfältiges zeichnerisches OEuvre hinterlassen, das
manchmal an ornamental geordnete klimtsche Blumenorgien erinnert,
Kaffeehausleben in großzügig genialen Strichen einfängt und Landschaften
in fein gegitterten Mustern abstrahiert.