Oft sind wir im Auto miteinander gefahren. Ich habe chauffiert, sie hat
erzählt. Wir hatten so viel zu reden, dass wir dann gar nicht aussteigen
wollten - wie ein Liebespaar! Als siebzehnjähriger Seminarist hab' ich
sie zum ersten Mal im Ronacher live erlebt. Sie spielte in einem
Tolstoi. Seither habe ich alles von ihr gesehen.
Vom
Beifahrersitz aus gestand sie mir Jahrzehnte später: "Ich habe als junge
Person gute Erfolge gehabt. Die meisten Schauspieler denken dann, so
mach ich jetzt weiter. Ich sagte mir: Nein. Ich muss meinen Kreuzweg
gehen. Manchmal war es nur finster, wie in einem Tunnel."
Privat war sie beileibe nicht gesprächig. Wenn man sie als Freund am
Telefon fragte: "Wie geht's dir?", antwortete sie meist, auch im hohen
Alter: "Eh gut."
Unösterreichische Knappheit
Typisch
für sie als Schauspielerin war diese geradezu unösterreichische
Knappheit. Man erlebt sie sonst nur bei englischen Schauspielern. Wenn
österreichische Schauspieler groß werden, werden sie breiter,
melodiöser. Die Wessely hat immer um knappen Ausdruck gerungen. Ihr
Credo lautete: "Es gibt nur eine Wahrheit." Der wollte sie nahekommen.
Kritik an ihr kommentierte sie so: Es gebe wenig, das sie nicht schon
aus ihrer Selbstkritik kenne. Geschätzten Kollegen gab sie Ratschläge,
wie: "Gehen Sie weg von der Josefstadt, sonst kriegen Sie Angst vor der
Literatur. Ich weiß, wovon ich rede." Es war ihr sehr wohl bewusst, dass
sie in vielen Theaterstücken Erfolge feierte, obwohl die Stücke "nicht
für die Ewigkeit geschrieben waren. Aber wir haben sie veredelt!"
Sie spielte aber auch auf den Spagat an, der sich zwischen der
Filmpopularität und ihrem Ziel, der Literatur, spannte. Der Preis, den
sie als Filmschauspielerin für ihre - auch internationale Popularität zu
zahlen hatte, wurde ihr immer klarer. Im Film hat sie ihre Ansprüche
hinuntergeschraubt.
Aber die Ansprüche blieben! Ich habe einen
Brief der jungen Wessely, sie war auf ihrem ersten Gastspiel in Berlin,
1925, und dankte ihrer Deutschlehrerin, dass sie den Kompass der
Schülerin auf Literatur gestellt hatte . . .
Doch sie war auch
eine Realistin, die meinte: "Wir spielen immer auf Engagement." Oder:
"Wir müssen immer übers Messer springen."
Die Frage, ob sie
sich als typische Burgschauspielerin sähe, hat sie übrigens immer
verneint: "Keinesfalls." Wieso? "Ich habe viel zu wenig gedient. Die
Alma Seidler - ja!" Raoul Aslan hat ja immer gesagt: Die Zugehörigkeit
zum Burgtheater sei wie die Zugehörigkeit zu einem Orden.
Was
ihr Privatleben betraf, war die Wessely besonders knapp. Es hatte für
ihren Beruf absolut nichts zu sagen, war eher hinderlich. Ihr "Ich lass
mir nicht gern in die Karten schauen" hieß: Es muss bei einem
Schauspieler auch ein Geheimnis geben. Doch hat ihr Mann Attila Hörbiger
gern bekannt: "Was ich bin - oder hoffentlich jetzt geworden bin, bin
ich nur durch die Paula."
Sie war als Junge mutig. Im Alter
war sie sehr mutig, oft sogar frech. Frech, freilich im Sinne der
Gabriele aus Schnitzlers "Anatol". Über die von ihr verkörperten Frauen
meinte sie: "Man muss etwas von diesen Leuten wissen. Ich bin keine
Dame. Aber ich weiß, wie's gehört." Wenn man sie darauf ansprach, dass
ihr Vater Fleischhauer in Sechshaus war, antwortete sie: "Ja, aber nur
Innereien." Damit meinte sie: eine kleine Fleischerei . . .
"Ich geb's nicht kleiner!"
Sätze wie "Ich habe immer lieber hinaufgeschaut als hinunter" oder
"Ich geb's nicht kleiner" charakterisieren ihre starke
Jahrhundert-Persönlichkeit. Die jedoch konnte in Frauengestalten
schlüpfen, von denen jeder im Publikum glaubte, eine solche Frau hab'
ich im eigenen Umfeld.
Sie kannte nicht nur ihre eigenen
Grenzen, sondern auch die des deutschsprachigen Film- und Theatergenres
genau. Sie wusste in den Dreißigerjahren bereits alles über englische
und amerikanische Filmschauspieler. Über die US-Filmkomödien dieser Zeit
sagte sie: "Das kriegen wir nicht hin." Auch das, was ihr über das
Medium Film vorschwebte, "gibt es bei uns nicht".
Was es
hingegen sehr wohl gab, war die Umsetzung mancher ihrer
Theatervorstellungen. Sie spielte in der Salzburger "Faust"-Inszenierung
von Max Reinhardt ein Gretchen, wie es bis dahin noch nicht gespielt
wurde. Aber nicht, um neu oder anders zu sein. Sondern einfach
unübersehbar unverbraucht und frisch.
Wenn Kollegen über
Misserfolge berichteten, dann riet sie immer zu Authentizität: "Du
kannst nicht gegen dich selbst spielen. Du kannst dir selbst nicht
entgehen. Spielen kannst du nur bis an deine Grenze."
Einmal
hat sie mich gefragt: "Was ist dir ganz gelungen?" Ich sagte drauf:
"Nichts, nur Momente." Sie kommentierte knapp: "Es ist doch gar nichts
zu erreichen."