ÜBER PAULA WESSELY

Aufzeichnungen aus einem Gespräch mit Burgtheater-Doyen Michael Heltau über seine Erinnerung an die Ikone der wienerischen Schauspielkunst.

"Es ist doch gar nichts zu erreichen"

Oft sind wir im Auto miteinander gefahren. Ich habe chauffiert, sie hat erzählt. Wir hatten so viel zu reden, dass wir dann gar nicht aussteigen wollten - wie ein Liebespaar! Als siebzehnjähriger Seminarist hab' ich sie zum ersten Mal im Ronacher live erlebt. Sie spielte in einem Tolstoi. Seither habe ich alles von ihr gesehen.

Vom Beifahrersitz aus gestand sie mir Jahrzehnte später: "Ich habe als junge Person gute Erfolge gehabt. Die meisten Schauspieler denken dann, so mach ich jetzt weiter. Ich sagte mir: Nein. Ich muss meinen Kreuzweg gehen. Manchmal war es nur finster, wie in einem Tunnel."

Privat war sie beileibe nicht gesprächig. Wenn man sie als Freund am Telefon fragte: "Wie geht's dir?", antwortete sie meist, auch im hohen Alter: "Eh gut."

Unösterreichische Knappheit

Typisch für sie als Schauspielerin war diese geradezu unösterreichische Knappheit. Man erlebt sie sonst nur bei englischen Schauspielern. Wenn österreichische Schauspieler groß werden, werden sie breiter, melodiöser. Die Wessely hat immer um knappen Ausdruck gerungen. Ihr Credo lautete: "Es gibt nur eine Wahrheit." Der wollte sie nahekommen. Kritik an ihr kommentierte sie so: Es gebe wenig, das sie nicht schon aus ihrer Selbstkritik kenne. Geschätzten Kollegen gab sie Ratschläge, wie: "Gehen Sie weg von der Josefstadt, sonst kriegen Sie Angst vor der Literatur. Ich weiß, wovon ich rede." Es war ihr sehr wohl bewusst, dass sie in vielen Theaterstücken Erfolge feierte, obwohl die Stücke "nicht für die Ewigkeit geschrieben waren. Aber wir haben sie veredelt!"

Sie spielte aber auch auf den Spagat an, der sich zwischen der Filmpopularität und ihrem Ziel, der Literatur, spannte. Der Preis, den sie als Filmschauspielerin für ihre - auch internationale Popularität zu zahlen hatte, wurde ihr immer klarer. Im Film hat sie ihre Ansprüche hinuntergeschraubt.

Aber die Ansprüche blieben! Ich habe einen Brief der jungen Wessely, sie war auf ihrem ersten Gastspiel in Berlin, 1925, und dankte ihrer Deutschlehrerin, dass sie den Kompass der Schülerin auf Literatur gestellt hatte . . .

Doch sie war auch eine Realistin, die meinte: "Wir spielen immer auf Engagement." Oder: "Wir müssen immer übers Messer springen."

Die Frage, ob sie sich als typische Burgschauspielerin sähe, hat sie übrigens immer verneint: "Keinesfalls." Wieso? "Ich habe viel zu wenig gedient. Die Alma Seidler - ja!" Raoul Aslan hat ja immer gesagt: Die Zugehörigkeit zum Burgtheater sei wie die Zugehörigkeit zu einem Orden.

Was ihr Privatleben betraf, war die Wessely besonders knapp. Es hatte für ihren Beruf absolut nichts zu sagen, war eher hinderlich. Ihr "Ich lass mir nicht gern in die Karten schauen" hieß: Es muss bei einem Schauspieler auch ein Geheimnis geben. Doch hat ihr Mann Attila Hörbiger gern bekannt: "Was ich bin - oder hoffentlich jetzt geworden bin, bin ich nur durch die Paula."

Sie war als Junge mutig. Im Alter war sie sehr mutig, oft sogar frech. Frech, freilich im Sinne der Gabriele aus Schnitzlers "Anatol". Über die von ihr verkörperten Frauen meinte sie: "Man muss etwas von diesen Leuten wissen. Ich bin keine Dame. Aber ich weiß, wie's gehört." Wenn man sie darauf ansprach, dass ihr Vater Fleischhauer in Sechshaus war, antwortete sie: "Ja, aber nur Innereien." Damit meinte sie: eine kleine Fleischerei . . .

"Ich geb's nicht kleiner!"

Sätze wie "Ich habe immer lieber hinaufgeschaut als hinunter" oder "Ich geb's nicht kleiner" charakterisieren ihre starke Jahrhundert-Persönlichkeit. Die jedoch konnte in Frauengestalten schlüpfen, von denen jeder im Publikum glaubte, eine solche Frau hab' ich im eigenen Umfeld.

Sie kannte nicht nur ihre eigenen Grenzen, sondern auch die des deutschsprachigen Film- und Theatergenres genau. Sie wusste in den Dreißigerjahren bereits alles über englische und amerikanische Filmschauspieler. Über die US-Filmkomödien dieser Zeit sagte sie: "Das kriegen wir nicht hin." Auch das, was ihr über das Medium Film vorschwebte, "gibt es bei uns nicht".

Was es hingegen sehr wohl gab, war die Umsetzung mancher ihrer Theatervorstellungen. Sie spielte in der Salzburger "Faust"-Inszenierung von Max Reinhardt ein Gretchen, wie es bis dahin noch nicht gespielt wurde. Aber nicht, um neu oder anders zu sein. Sondern einfach unübersehbar unverbraucht und frisch.

Wenn Kollegen über Misserfolge berichteten, dann riet sie immer zu Authentizität: "Du kannst nicht gegen dich selbst spielen. Du kannst dir selbst nicht entgehen. Spielen kannst du nur bis an deine Grenze."

Einmal hat sie mich gefragt: "Was ist dir ganz gelungen?" Ich sagte drauf: "Nichts, nur Momente." Sie kommentierte knapp: "Es ist doch gar nichts zu erreichen."